Die Verbannung
Fee: »Ich weiß es nicht, aber ich spüre es.«
»Konntest du verstehen, was sie gesagt hat?«
»Nein, aber ich konnte sie hören.«
Dylan runzelte die Stirn und stieg aus dem Bett, um ein frisches Torfstück auf das Feuer zu legen. Er blies in die Glut, um die Flammen anzufachen, und kroch dann hastig unter sein Plaid und seine Bettdecke zurück. Im flackernden Lichtschein musterte er Sinann forschend. »Ramsay hat die Stimme nicht gehört«, meinte er.
»Die Frau hat schon einmal zu dir gesprochen?«
Dylan nickte. »Ich dachte, es wäre Cait. Aber wenn sie es nicht ist, wer dann?«
»Woher soll ich das wissen?«
Dylan kuschelte sich unter seine Decke und starrte ins Feuer. Unzählige Fragen gingen ihm durch den Kopf, doch er wusste auf keine davon eine Antwort.
Das Weihnachtsfest verlief für ihn einsam und trübselig. Im presbyterianischen Edinburgh galt dieser Tag als normaler Arbeitstag. Es regnete in Strömen, und während Dylan am Fensterbrett sein Frühstück verzehrte, blickte er in eine graue Welt hinaus: Grauer Regen prasselte auf grauen Stein nieder, der See schimmerte hellgrau zwischen den nördlich des Gasthauses gelegenen Gebäuden hindurch, und dahinter erstreckten sich die etwas dunkleren Berge der Halbinsel Fife. Das einzig Gute an diesem Wetter war, dass der Regen den ganzen Unrat von den Straßen fortspülte und der Weg zu Ramsays Büro nicht ganz so mühsam war wie sonst. Der Tag verlief ruhig; Dylan verbrachte die langen Stunden hauptsächlich in seinem Stuhl neben Ramsays Schreibtisch, während sein Arbeitgeber seine Korrespondenz erledigte.
Am Silvesterabend erstand Dylan beim Wirt des Hogshead Inn einen Krug mit selbst gebranntem Whisky und nahm ihn zu den Docks mit, um ihn dort mit seinen Männern zu teilen. Seumas und Keith saßen im Lagerhaus an einem kleinen Feuer, von dem eine dünne Rauchwolke aufstieg. Sie hatten noch eine Matratze herbeigeschafft, sodass sie alle drei hier schlafen konnten. Neben dem Feuer lagen die Überreste früherer Mahlzeiten, und in einer Ecke stand ein halb leerer Sack mit Hafermehl. Die Männer begrüßten ihn begeistert, denn sie hatten ihn seit ihrer Ankunft in Edinburgh nicht oft zu Gesicht bekommen, nur an den Zahltagen und wenn Ramsay im Lager zu tun hatte und Dylan dabei stumm und wachsam hinter ihm stand.
»Ich trau meinen Augen nicht!«, rief Seumas in seinem grauenhaften Englisch erfreut aus, dann fuhr er auf Gälisch fort: »Dieses Edinburgh ist ein stinkendes, überfülltes Loch, das muss ich schon sagen.«
Dylan nickte und zog einen Getreidesack heran, um sich gleichfalls ans Feuer zu setzen. »Ich bin froh, wenn diese ganze Sache überstanden ist und wir nach Hause gehen können.« Er vermisste die Highlands und wünschte sich nichts sehnlicher, als die Stadt verlassen und nach Glen Ciorram zurückkehren zu können, wusste aber auch, dass es ihm vielleicht nie gelingen würde, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften.
»Hier sind zu viele Menschen auf engstem Raum zusam-mengepfercht. Wie soll ein Mann denn da atmen?«, beklagte sich Keith.
Dylan und Seumas nickten beifällig. »Och, aye.«
Dann zog Dylan den Stopfen aus dem Whiskykrug und reichte ihn Keith. »Nimm einen Schluck, und dann geh und hol Alasdair.«
Keith ließ sich nicht zwei Mal bitten. Das starke Getränk lief seine Kehle hinab, als wäre es Wasser, dann gab er Dylan den Krug zurück. Dieser schnupperte ungläubig daran. Der hochprozentige Whisky hatte nichts von seinem Gehalt eingebüßt, seit er ihn heute Morgen gekauft hatte. Keith rülpste und trottete grinsend davon, um Alasdair zu suchen.
Die beiden anderen Männer sahen ihm nach. Seumas bemerkte trocken: »Der Bursche muss einen Magen wie ein Pferd haben.«
Dylan kicherte, wischte den Rand des Kruges ab und prostete Seumas zu. »Möge die Zukunft uns Frieden und Wohlstand. bringen.« Er sagte das, obwohl er genau wusste, dass sie beide zu ihren Lebzeiten in Schottland weder das eine noch das andere zu erwarten hatten. Nach einem Schluck reichte er den Krug an Seumas weiter, der ihn ebenfalls an die Lippen setzte.
Auch er brachte einen Trinkspruch aus. »Auf unseren einzigen und wahren König James VIII.« Er trank und gab Dylan den Krug zurück.
Dylan zögerte. Er wusste aus seinen alten Geschichtsbüchern, dass James just in dieser Woche in Schottland gelandet war, obwohl die Nachricht Edinburgh noch nicht erreicht hatte. Doch der Aufstand war bereits gescheitert, und James würde nichts anderes
Weitere Kostenlose Bücher