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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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er halbwegs bequem sitzen, und die empfindlicheren Teile seiner Anatomie wurden nicht über Gebühr belastet.
    Als er die Pferde im Schritttempo die steile Steigung zur High Street hochlenkte, materialisierte sich Sinann plötzlich aus dem Nichts und nahm ihren gewohnten Platz hinter Dylan ein. Er schüttelte den Kopf. »O nein. Du kommst nicht mit.«
    »Das hast nicht du zu entscheiden.«
    »Du bleibst hier und passt auf Cait und Ciaran auf.«
    »Und wer kümmert sich um dich?«
    »Ich bin schon ein großer Junge, ich kann auf mich selbst aufpassen.«
    »Aye, so wie beim letzten Mal, als du mich gebeten hast, ein Auge auf Cait zu haben. Als ich dich endlich gefunden hatte, warst du halb tot.«
    »Du bleibst trotzdem hier. Ich kann die beiden nicht mit diesem Kerl allein lassen. Nicht nach dem, was wir letzte Nacht beobachtet haben.«
    Eine lange Pause entstand, während der Sinann sichtlich mit sich rang. Dylan hakte nach: »Du weißt, dass sie und das Baby in seinem Haus nicht sicher sind. So reizbar, wie er ist, braucht es nicht viel, und er lässt sie auf so ein Sklavenschiff bringen und behauptet dann, sie wäre ihm weggelaufen und hätte Ciaran mitgenommen.«
    »Aber du weißt doch, dass ich nichts gegen ihn ...«
    »Wenn sie in Gefahr gerät, wenn er sie misshandelt oder auch nur daran denkt, den Jungen zu schlagen, dann lässt du alle seine Fenster aus den Rahmen springen. Das sollte ihn ablenken, besonders wenn du dir die ganz großen, teuren an der Vorderseite vornimmst.« Sinann kicherte, und er wusste, dass er sie beinah da hatte, wo er sie haben wollte. Nach mehr als zwei Jahren kannte er ihre schwachen Punkte nur zu gut. »Sieht bestimmt sehr hübsch aus, wenn das Glas in alle Himmelsrichtungen fliegt. Zumindest verschafft so ein Trick Cait genug Zeit, sich und Ciaran in Sicherheit zu bringen.«
    Wieder zögerte Sinann lange.
    »Tu es mir zuliebe, Tink.«
    Die Fee seufzte, hüpfte vom Pferd und flatterte in Richtung von Ramsays Haus davon. Auch Dylan stieß einen erleichterten Seufzer aus. Eine Sorge weniger, dachte er. Trotzdem widerstrebte es ihm, Edinburgh zu verlassen, aber ihm blieb keine andere Wahl. Er trieb die Pferde an und ritt zu den Docks hinunter, um Seumas abzuholen, der ihn nach Perth begleiten sollte.
    Die beiden Männer ritten bis weit in die Nacht hinein und machten erst Rast, als Kälte und Erschöpfung sie dazu zwangen. Sie entzündeten ein kleines Feuer, verzehrten etwas Brot und Käse und rollten sich dann neben dem Feuer in ihre Plaids, um zu schlafen, bis die Sonne aufging und die ärgste Kälte nachließ. Beide fielen sie augenblicklich in einen tiefen Schlaf.
    Mitten in der Nacht schrak Dylan plötzlich hoch. Seine Muskeln schmerzten vor Kälte. Benommen sah er sich um. Irgendetwas hatte er gehört, da war er ganz sicher. Hastig griff er nach Brigid. Der Himmel war noch tief schwarz, die Sonne würde erst in einigen Stunden aufgehen. Dylan starrte in die undurchdringliche Finsternis und lauschte angestrengt. Seumas lag auf der anderen Seite des ersterbenden Feuers, tot für die Welt. Die Nacht war ungewöhnlich still, trotzdem spürte Dylan, dass dort draußen im Dunkeln etwas lauerte. Er konnte es förmlich riechen. Seine Nackenhaare richteten sich auf, er erhob sich langsam und drehte sich, Brigid fest in der Hand haltend, zu Seumas um.
    »Seumas?«
    Der schlafende Mann rührte sich nicht.
    »Seumas, wach auf!« Dylan trat zu seinem Freund hinüber und tippte ihn mit der Stiefelspitze an. Seumas schlief ruhig weiter, seine Brust hob und senkte sich regelmäßig. Dylan spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Irgendetwas stimmte hier nicht. Seumas hatte einen sehr leichten Schlaf, er wäre normalerweise schon beim leisesten Geräusch aufgewacht.
    Hinter ihm ertönte plötzlich ein tiefes, bedrohliches Knurren. Dylan fuhr herum. Zwei gelbe Augen glühten im Dunkeln. Ein Wolf musste dort lauern. Fast war er erleichtert, dass die Gefahr, die er bislang nur geahnt hatte, jetzt Gestalt angenommen hatte. Obgleich Wölfe im 18. Jahrhundert in Schottland als ausgestorben galten, bestand kein Zweifel daran, dass er ein solches Tier vor sich sah. Er zückte den Dolch und bereitete sich auf einen Angriff vor.
    Der Wolf sprang auf ihn zu. Dylan holte aus, doch der Angriff war nur eine Finte gewesen. Das Tier kämpfte wie ein Mensch. Es wich der Klinge geschickt aus, sprang Dylan erneut an und grub die Zähne durch die dicke Wolle des Mantels hindurch in seinen Arm.

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