Die Verbannung
Dylan schrie auf, nahm Brigid in die linke Hand und stieß dem Wolf, der knurrend an seinem Arm zerrte, die Klinge tief in das rechte Auge. Das Tier jaulte auf, gab Dylans Arm frei und floh in die Dunkelheit hinaus.
Dylan erwachte mit einem Ruck. Er war in Schweiß gebadet. Der Himmel verfärbte sich bereits rötlich, und das Feuer glomm nur noch schwach. »Seumas!«, rief er leise.
»Was ist los?« Seumas fuhr hoch, zückte blitzschnell seinen Dolch und blickte sich um.
Diese Frage stellte sich Dylan, der sich gleichfalls verwirrt nach allen Seiten umschaute, inzwischen auch. »Hast du nichts gehört?«, fragte er.
Seumas spähte ins Dunkel, ehe er mit gedämpfter Stimme erwiderte: »Nein, nicht dass ich wüsste.«
Dylan erhob sich, um nach Spuren des Wolfes Ausschau zu halten, aber er fand keine, weder Blut noch sonstige Anzeichen für einen Kampf. Brigid steckte in ihrer Scheide, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, sie dorthin zurückgeschoben zu haben. Er erinnerte sich auch nicht daran, dass er sich wieder hingelegt hatte.
»Was hast du denn?«, erkundigte sich Seumas verschlafen.
»Nichts.« Dylan schüttelte den Kopf. »Muss schlecht geträumt haben.«
Seumas kicherte. »Du Armer, träumst von seltsamen Geräuschen in der Nacht. Ich hab mich im Traum gerade mit einer hübschen jungen Frau in einem weichen Bett vergnügt und ...«
»Tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe. Bald wird es hell. Schlaf noch ein bisschen.«
Seumas wickelte sich in sein Plaid und schloss die Augen.
Als Dylan sich ebenfalls wieder hinlegen wollte, bemerkte er, dass sein rechter Arm schmerzte. Er untersuchte seinen Mantelärmel auf Löcher und Risse hin, konnte aber keine entdecken. Doch als er den Mantel auszog und seinen Hemdsärmel aufrollte, bemerkte er vier kleine runde Punkte auf seiner Haut, zwei auf jeder Seite seines Unterarmes -Bisswunden, aus denen winzige Blutströpfchen sickerten. Er schüttelte ungläubig den Kopf, schlüpfte wieder in seinen Mantel und legte sich neben Seumas auf den Boden, tat aber nach diesem unheimlichen Vorfall kein Auge mehr zu.
Kurz nach Tagesanbruch setzten die beiden Männer ihre Reise fort. Die Sonne war schon fast wieder untergegangen, als sie das Log and Bull erreichten, eine kleine, überfüllte Schenke in der Nähe des Flusses Tay, von der aus man direkt auf den Kai blickte. Ein kleines Schiff lag dort vor Anker.
Dylan war schon einmal hier gewesen, aber nur kurz, mitten in der Nacht, während Rob in einem der Räume mit einem Gast eine geschäftliche Besprechung geführt hatte. Der Schankraum ähnelte dem von Ramsays bevorzugtem Kaffeehaus in Edinburgh, er war mit Holztischen und einer langen Theke in der Nähe des Kamins ausgestattet, an der die Gäste Speisen und Getränke erstehen und mit zu ihren Tischen nehmen konnten. Die Wände waren weiß getüncht, und über der Eingangstür prangte das Bild eines auf hohen Wellen mit weißen Schaumkronen dahintreibenden Segelschiffes. Bei seinem letzten Besuch hatte Dylan erfahren, dass dieses Wandgemälde ein Zeichen dafür war, dass Freihändler hier willkommen waren. Der Sinn und Zweck des Ganzen leuchtete ihm allerdings nicht recht ein. Der Schmuggel bildete quasi die Haupteinnahmequelle der Stadt Perth.
Sein Blick schweifte durch den Raum. Seumas hatte sich rechts neben ihm aufgebaut und sah sich immer wieder über die Schulter hinweg um. Eine Frau in einem zerlumpten roten Kleid mit schmutzigem Spitzenbesatz an Ausschnitt und Ärmeln saß zusammengesunken an einem kleinen Tisch in der Nähe der Tür, sie wirkte, als sei sie so betrunken, dass sie sich nicht mehr rühren könne. An einem anderen Tisch, der mit Fleischplatten, Brot und Alehumpen beladen war, drängten sich drei in eine angeregte Unterhaltung vertiefte Männer, die noch nicht einmal aufgeblickt hatten, als Dylan und Seumas hereingekommen waren. Auf keinen von ihnen passte Ramsays Beschreibung von Wingham, sie waren alle entschieden zu klein, und keine der Nasen konnte man als Hakennase bezeichnen.
Ein untersetzter, völlig kahlköpfiger Mann kam aus dem Nebenraum herbeigeeilt. Dylan erkannte den Wirt. Er trat mit einem Ausdruck äußerster Vorsicht, wenn nicht gar tiefem Misstrauens auf die Neuankömmlinge zu. »Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?«
»Wir sollen hier nach einem Mann namens Wingham fragen, Polonius Wingham.« Obwohl Dylan mit gedämpfter Stimme sprach, bemerkte er, dass die drei Männer am Tisch abrupt verstummten, als Winghams Name
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