Die Verbannung
getrunken?«
»Er schickt den Rebellen Berichte über die aktuellen Truppenstärken.«
»Und das weißt du so genau, weil du ...«
Der Junge langte in sein Hemd und zog ein Bündel Briefe hervor. »Weil es hier drinsteht.« Dylan gab seinen Arm frei, um die Briefe entgegenzunehmen. In diesem Moment griff der Junge nach Dylans sgian dubh und stieß ihn ihm blitzschnell in die Seite.
Völlig überrumpelt schrie Dylan leise auf und bohrte dem Burschen reflexartig Brigids Klinge in den Hals. Blut spritzte in hohem Bogen aus der Wunde. Dylan trat angeekelt einen Schritt zurück. Der sgian dubh steckte immer noch in seinem Fleisch. Der Junge brach auf dem Boden zusammen, ein Blutschwall ergoss sich aus seinem Mund, dann blieb er regungslos liegen.
Dylan zog den Dolch aus seiner Seite, ließ ihn fallen, presste eine Hand auf die Wunde und fluchte, als er feststellte, dass die kleine Klinge seine alte Operationsnarbe getroffen hatte. Doch bei näherem Hinsehen erwies sich der Schaden als nicht so groß, Hemd, Plaid und Mantel hatten die Wucht des Stoßes abgefangen, und die Klinge war nur ins Muskelfleisch gedrungen.
Der Junge hatte jedoch weniger Glück gehabt. Er lag tot in einem See von Blut. Dylans Magen krampfte sich zusammen, doch er wusste, jetzt war nicht die Zeit, über das nachzudenken, was er getan hatte. Sein Gewissen würde sich später zu Wort melden, so wie es das immer tat, daran hegte er keinen Zweifel. Aber nun musste er erst einmal machen, dass er fortkam. Er wischte Brigid am Mantel des Jungen ab und schob sie in die Scheide zurück, dann hob er den sgian dubh vom Boden auf und verfuhr mit ihm genauso.
Auf einmal hörte er Felix' erschrockene Stimme von der Wendeltreppe her. »Wer ist da?«
Ausgerechnet jetzt musste der Kerl auftauchen, wo ohnehin alles im Argen lag! Dylan öffnete die Tür einen Spalt und rief: »Ich bin es nur! Mr. Ramsay hat mich geschickt, um einen Brief zu holen.« Als Felix sich mit dieser Erklärung zufrieden gab, trat Dylan zu Ramsays Schreibtisch, um den be-wussten Brief an sich zu nehmen. Aber der Schreibtisch war leer.
Hastig hob er das zu Boden gefallene Briefbündel auf und blätterte es durch. Keiner der Briefe war mit blauem Wachs versiegelt. Dylan ließ es fallen, untersuchte den Schreibtisch, den Kasten, den der Junge durchwühlt hatte, und schließlich die Taschen des Toten. Kein Brief kam zum Vorschein.
»Sinann, das glaube ich einfach nicht.«
»Vielleicht war der Brief schon fort, bevor der Junge kam.«
Dylan stöhnte. Ramsay würde einen Tobsuchtsanfall bekommen.
Blutverschmiert, wie er war, machte er sich auf den Weg zu Ramsays Haus, aber da er in diesem Zustand sogar in dieser Stadt einen auffälligen Anblick bot, nahm er einen Umweg durch Gassen, die nicht breiter waren als seine Schultern, und über dunkle, verlassene Hinterhöfe. Dann klopfte er an Ramsays Tür. Der Koch öffnete, und Dylan schlüpfte rasch ins Haus, ehe einer der Nachbarn ihn bemerken konnte. Ramsay und Cait saßen im großen Saal beim Dinner. Für Dylan war gleichfalls gedeckt, das Essen jedoch noch nicht aufgetragen worden.
Cait sog zischend den Atem ein, als sie das Blut auf seinem Hemd und seinen Armen sah, blieb aber ruhig an ihrem Platz sitzen. Braves Mädchen! Dylan lehnte sich gegen den Türrahmen, eine Hand gegen seine Seite gepresst, und sagte zu Ramsay: »Leider muss ich Euch mitteilen, dass der bewusste Gegenstand verschwunden ist.« Dann blickte er auf seine Wunde hinunter und murmelte wie zu sich selbst: »Tha gu slàn«, damit Cait wusste, dass ihm nichts weiter fehlte, denn Ramsay würde sich schwerlich nach seinem Wohlergehen erkundigen.
»Hölle und Teufel!« Ramsay erhob sich. »Geht in Eure Kammer«, befahl er Dylan. »Cait, schick Nellie zu mir.« Er begleitete Dylan zum Gästezimmer, während Cait sich auf die Suche nach Nellie machte. »Was um aller Welt ist passiert?« Sein Gesicht war vor Erregung hochrot angelaufen.
Dylan wartete, bis sie das Zimmer betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatten, bevor er erwiderte: »Ich habe jemanden dabei ertappt, wie er Euer Büro durchsuchte. Es war nur ein Straßenjunge, aber er hat seine Haut teuer verkauft.« Er zog seinen Mantel aus, inspizierte das Loch im Stoff und warf ihn auf das Bett, dann füllte er seine Waschschüssel mit Wasser aus dem Krug.
»Ihr habt ihm eine Lektion erteilt, nehme ich an?«
Dylan presste die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen und nickte, während er sich
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