Die Verbannung
ihn leicht auf den Mund, bevor sie den Raum verließ.
Dylan sah ihr nach; bemüht, sich nicht von der Trauer um das, was hätte sein können, überwältigen zu lassen.
11. KAPITEL
»Oh, Dylan ...«
»Cody, was hast du denn?«
Cody schrak zusammen, als sie Rays Stimme hörte, obwohl er seit dem Abendessen im Sessel neben dem Sofa gesessen hatte. In ihrem Schoß lag ein Stapel Fotokopien, die sie gelesen hatte, doch irgendwann einmal waren ihr die Buchstaben vor den Augen verschwommen, und sie hatte nur noch blicklos ins Leere gestarrt und ihren Gedanken nachgehangen. Ray sah fern, doch sie hatte die Sendung nur als Hintergrundgeräusch wahrgenommen.
Im Geiste hatte sie sich gar nicht in diesem Raum befunden, noch nicht einmal in diesem Jahrhundert. Einen Moment lang hatte sie sogar geglaubt, sie hätte Dylan gesehen, aber das Bild war so schnell wieder verschwunden, dass sie es als Ausgeburt ihrer überreizten Fantasie abgetan hatte -zumal er, wenn er es denn gewesen sein sollte, splitterfaser-nackt gewesen war. Der Gedanke an derartige Tagträume mit ihrem ehemaligen Sandkastenfreund in der Hauptrolle trieb ihr die Schamröte ins Gesicht.
Ray hatte den rechten Fuß über sein linkes Knie gelegt, wippte damit und sah sie strafend an. Seine Stimme klang ungeduldig und gereizt. »Ich glaube, du solltest diese Papiere mal eine Weile weglegen und aufhören, mit dir selbst zu reden.«
Oh-oh. Selbstgespräche? »Was hab ich denn gesagt?« Wenn er sich doch nur wieder auf seine Fernsehsendung konzentrieren und sie in Ruhe lassen würde!
Ray zuckte die Schultern. »Du hast einfach nur vor dich hin gebrummt. Mach so weiter, dann buche ich dir die Fürstensuite in der Klapsmühle.« Das sollte ein Scherz sein, aber Rays Humor traf häufig völlig daneben. Besonders in der letzten Zeit. Manchmal kam es ihr so vor, als würde alles an ihr ihn ärgern. Zu Beginn ihrer Ehe war alles ganz anders gewesen, da hatten sie sich wunderbar verstanden. Er war zwar manchmal ein wenig träge und langweilig gewesen, aber lieb, und nur das zählte.
Cody schüttelte den Kopf und murmelte eine Entschuldigung, bevor sie sich wieder mit der obersten Seite des Stapels auf ihrem Schoß befasste. Auch die Couch und der Kaffeetisch waren mit Papieren übersät, die ihr aus Schottland zugeschickt worden waren. Vor ein paar Monaten hatte sie sich in der Hoffnung, Informationen über Dylan - irgendetwas über Dylan - zu finden, an die Stadtbibliothek von Ciorram gewandt. Deren Leiter, ein älterer Mann namens Ewan MacDonell, war ihr nach Kräften behilflich gewesen.
Zwar hatte er, wie er in seinem Brief geschrieben hatte, nicht die Möglichkeit, einen bestimmten Matheson ausfindig zu machen, aber er hatte ihr Fotokopien alter Kirchenregister sowie eine kleine, von ihm selbst herausgegebene Broschüre geschickt, die die Rolle seiner eigenen Vorfahren in der Schlacht von Culloden behandelte. Cody hatte nur einen flüchtigen Blick hineingeworfen und sie dann beseite gelegt, um sich mit den Fotokopien zu befassen, in denen hoffentlich auch noch andere Namen als MacDonell aufgeführt waren.
Da er eine Reihe von Leuten kannte, die es als ihre Pflicht betrachteten, auch Unterlagen über unwichtigere historische Persönlichkeiten - wie zum Beispiel die Einwohner des kleinen Glen Ciorram - aufzubewahren, hatte ihr Mr. MacDonell einen ansehnlichen Papierberg zuschicken können. Während sie sich systematisch hindurcharbeitete, staunte sie darüber, wie viele Mathesons es im 18. Jahrhundert in dieser Gegend gegeben hatte. Die Aufzeichnungen waren noch nicht einmal annähernd vollständig, und doch tauchte in den Taufregistern ständig der Name Matheson auf. Viele der zwischen 1720 und 1730 geborenen Jungen waren Dylan, Di-lan, Dilean oder Dillon getauft worden. Cody seufzte. Sie fand all das furchtbar verwirrend.
Es dauerte lange, bis sie die nahezu unleserlichen Handschriften und die oft recht eigenwillige Schreibweise entziffert hatte. Ein paar Stunden zuvor hatte sie nach dem Tauf-eintrag für Ciaran Matheson gesucht, ehe ihr eingefallen war, dass Dylan gesagt hatte, der Junge sei in Edinburgh geboren worden. Sorgfältig ging sie die anderen Namen durch. Eine heftige Erregung überkam sie, als sie auf eine gewisse Caitrionagh Matheson stieß, die 1693 getauft worden war. Anscheinend hatte sie zwei jüngere Brüder ... nein, Onkel, Coli und Artair, getauft in den Jahren 1694 und 1695. In den Papieren fand sich keine Auflistung von Eheschließungen.
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