Die Verbannung
beschwören konnte. Wenn Elena heute Nachmittag nicht kam, so hieß das, daß er den Sieg davongetragen hatte, daß sie sich geeinigt hatten, daß sie ihm nicht mehr diese erschreckenden Szenen machen würde, sondern es hinnahm, für ihn nur ein Körper zu sein, ohne etwas von ihm zu verlangen.
Gegen Abend erwachte er. Die Luf stand, hatte ihn aber durch ihre Kühle geweckt. Ehe er noch zu sich selbst zurückfand, nahm er das Dorf wieder wahr, als schliefe er noch und friedliches Leben von Kindern, Frauen und Hunden spiele sich in der Abendbrise ab. Er fühlte sich aller Verantwortung ledig und so leicht wie das Summen einer Mücke. Der Platz vor dem Meer in seiner durchsichtigen Klarheit mußte gelb von der Abendsonne sein. Vor dem Wirtshaus hatten sich alle versammelt, bereit zum Spiel und zu höflichen Gesprächen. Er rührte sich nicht, um diesen Augenblick festzuhalten. Und langsam fühlte er aus der Tiefe eine noch schönere Gewißheit aufsteigen. Daß er nicht mehr schlief und daß dieser Friede also Wirklichkeit war. Daß das Gefängnis ihm jetzt so fern gerückt war, daß er im Halbschlaf in aller Ruhe in es zurückkehren konnte.
Elenas Augen, dumpf und verdrossen wie ihre Stimme – die er in der Finsternis und in der Erregung ihres abendlichen Beisammenseins beinahe vergessen hatte – sah Stefano am nächsten Morgen wieder. Voller Unruhe hatte er am Abend in den Laden der Mutter hineingeschaut, den er sonst gemieden hatte. Elena sollte wissen, daß er sich ihrer erinnerte. Aber Elena war nicht da, und mit der vermummten unbeweglichen Alten, die einen Dialekt des Binnenlandes sprach, konnte man sich kaum verständigen. Stefano hatte das Milchtöpfchen dagelassen, mehr wie einen Gedanken denn als Vorwand für Elena, um es ihm am nächsten Tag zu bringen. Bisher hatte Stefano sich die Milch frühmorgens von dem Ziegenhirten geben lassen, der mit seiner Herde vorüberzog.
Elena kam nach Sonnenaufgang, als Stefano schon ein Stück trockenes Brot kaute. Schüchtern blieb sie mit dem Töpfchen in der Hand an der Tür stehen, und Stefano begriff, daß sie vermutet hatte, ihn noch im Bett vorzufinden.
Stefano sagte ihr, sie solle hereinkommen, lächelte ihr zu und nahm ihr das Töpfchen mit einer flüchtigen Liebkosung aus der Hand. Sie sollte verstehen, daß die Fensterläden heute morgen offen bleiben konnten. Auch Elena lächelte.
»Hast du mich immer noch lieb?« fragte Stefano. Verlegen senkte Elena die Augen. Da sagte Stefano ihr, mit ihr ein bißchen zusammen zu sein, mache ihm Freude, auch ohne sie zu küssen, selbst wenn sie glaube, daß er nichts anderes im Sinne habe. Und sie möge ihm verzeihen, wenn er ein wenig barsch und ungehobelt sei, aber er lebe seit so langem allein, daß er manchmal alle hasse.
Elena schaute ihn düster und zärtlich an und sagte: »Möchten Sie, daß ich sauber mache?«
Stefano nahm lachend ihre Hand und sagte: »Warum siezt du mich?« und er umarmte und küßte sie, aber Elena sträubte sich, weil die Tür offenstand.
Dann fragte Elena: »Soll ich dir die Milch heiß machen?« Und Stefano sagte, das sei die Arbeit einer Ehefrau.
»Wie of habe ich das für einen getan«, sagte Elena verstimmt, »der mir dafür nicht einmal Dank wußte.« Stefano, der auf dem Bett saß, zündete sich eine Zigarette an und hörte ihr zu. Es war sonderbar, daß diese kummervollen Worte aus dem Körper aufstiegen, den ihr dunkles Kleid verbarg. Während sie das Töpfchen auf den Herd stellte, beklagte sich Elena über den Mann, den sie gehabt hatte; aber Stefano konnte ihre Stimme und ihre unschlüssigen Blicke nicht mit der Erinnerung an ihre weiße Intimität in Zusammenhang bringen. In dem süßen Ziegenduf, der vom Herd aufstieg, wurde Elena erträglich, wurde eine beliebige, aber gutartige Frau, Gegenwart, die man nicht lieben konnte und mit der man sich abgefunden hatte, wie mit der der Hühner, des Besens oder einer Magd. Und in dieser Illusion, daß es zwischen ihnen nichts als diese bescheidene Befriedigung gebe, vermochte Stefano an dem Gespräch teilzunehmen und in seinem Herzen einen unverhofen Frieden zu spüren.
Elena begann, das Zimmer aufzuräumen und vertrieb Stefano deshalb von der Bettkante. Stefano trank seine Milch und machte sich dann daran, seine Badehosen in ein Handtuch zu rollen. Elena war mit dem Kehren bis zu der Kiste gekommen, auf der der Koffer mit seinen Sachen stand, sie fuhr mit dem Besen darum herum, hob dann die Augen und sagte barsch:
»Du
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