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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cesare Pavese
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kraushaarig und nach Luf schnappend, kam er, ihm zu öffnen, und erklärte höflich, der Wachtmeister sei nicht da. Stefano ließ seine Augen durch die große kahle Eingangshalle wandern. Ganz hinten über dem ersten Treppenabsatz tat sich, grün von Blättern, ein kleines Fensterchen auf. »Er hat nach mir gesucht«, sagte Stefano.
    Am Eingang, durch den der Wind pfiff, sprach der Carabiniere mit der alten Frau, die sich herangemacht hatte, und warf ihr schließlich die Tür vor der Nase zu; dann wandte er sich an Stefano. »Sie wissen nicht …?« fragte Stefano.
    In diesem Augenblick hörte man die Stimme des Wachtmeisters, dann erschien sein Gesicht an der Treppenbiegung. Mit einem Satz, hochrot, war der Carabiniere bei ihm und stammelte, seine Tür sei geschlossen gewesen.
    »Herr Ingenieur, kommen Sie, kommen Sie, so ist's
    recht«, sagte der Wachtmeister und beugte sich zu ihm herunter.
    In seinem Amtszimmer oben reichte er ihm ein Papier. »Sie müssen unterschreiben, Herr Ingenieur. Es ist die Bestätigung der Anzeige bei der Provinzialkommission. Ich verstehe nicht, wie die es fertig gebracht haben, Sie ohne Bestätigung hierher zu schicken.«
    Stefano unterschrieb mit unsicherer Hand. »Das ist alles?«
    »Das ist alles.«
    Einen Augenblick sahen sie sich in dem stillen Amtszimmer an. »Sonst nichts?« fragte Stefano.
    »Sonst nichts«, brummte der Wachtmeister und schaute ihn von unten an, »höchstens, daß Sie bisher hier waren, ohne es zu wissen. Aber jetzt wissen Sie es.« Stefano ging nach Hause, ohne den Wind zu spüren. In dem Augenblick, als das Gesicht sich von der Treppe herabbeugte, hatte ihn die Hoffnung durchzuckt, das gefürchtete Blatt Papier bringe ihm doch die Freiheit. Als er über den kleinen Hof ging, klopfe sein Herz noch immer, er schloß die Tür hinter sich und wanderte in seinem Zimmer wie in einer Zelle auf und ab. An der Wand hinter seinem Bett stand ein kleiner weißgestrichener Schrank und darauf sein Koffer. Stefano begriff, daß der Koffer leer war und daß alle seine Kleider in den Schrank getan worden waren. Aber ohne sich darüber zu verwundern, ging er weiter auf und ab, schloß die Augen, kniff die Lippen zusammen und versuchte, von nichts Kenntnis zu nehmen und sich einen einzigen Gedanken vor Augen zu halten. Er hatte ihn schon so of gedacht, jetzt mühte er sich nur darum, ihn zu isolieren, ihn in sich aufzurichten wie einen Turm in einer Wüste. Erbarmungslosigkeit hieß dieser Gedanke, Einsamkeit, unerschütterliche Abkehr seines Geistes von jedem Wort, jeder noch so geheimen Schmeichelei.
    Keuchend blieb er stehen, stützte seinen Fuß auf einen Stuhl und sein Kinn in die Hand, starrte auf Elenas Schrank, ohne ihn richtig anzusehen. Darüber würde er später noch nachdenken. Jedes weichere Gefühl, alle Verbundenheit, alle Hingabe mußten in seinem Herzen wie in einem Gefängnis verschlossen und wie ein Laster in Zucht gehalten werden, nichts davon durfe mehr sichtbar, bewußt werden. Nichts durfe mehr von außen abhängen. Weder die Dinge noch die Menschen sollten mehr etwas über ihn vermögen. Stefano kniff die Lippen mit einer Grimasse zusammen, denn er fühlte, wie, bitter und fruchtbar, die Kraf in ihm wuchs. Er durfe an keine Hoffnung mehr glauben, er mußte jedem Schmerz zuvorkommen, ihn annehmen und in seiner Einsamkeit in sich hineinschlingen. Sich ständig als Gefangenen betrachten. Er nahm sein eingeschlafenes Bein vom Stuhl und begann wieder, auf und ab zu gehen und lächelte dabei über sich selbst, daß er dieser Pose bedurf hatte, um wieder Kraf zu schöpfen.
    Da war Elenas Schränkchen. Und da lagen seine wenigen Sachen auf ausgebreiteten Zeitungsblättern liebevoll geordnet. Stefano erinnerte sich an den Abend, als er Giannino gesagt hatte, er traue sich nicht, seinen Koffer auszupacken, denn er fühle sich als Passant. Das Bild Gianninos, Concias und der anderen, das Bild des Meeres und der unsichtbaren Winde würde er nach wie vor in seinem Herzen verschließen und sich schweigend daran erfreuen. Aber Elena war leider kein Bild, Elena war ein Körper: ein lebendiger, alltäglicher Körper, dem er so wenig wie seinem eigenen ausweichen konnte.
    Stefano würde ihr nun für die feinfühlige Zärtlichkeit ihres Gedenkens danken müssen. Aber Stefano sprach nicht gerne mit Elena. Die dumpfe Traurigkeit, die aus ihrer Intimität aufstieg, erfüllte ihn mit Haß gegen sie, die er sich dann in ihren ungeschicktesten Augenblicken vorstellte.

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