Die Verbannung
brauchst einen Schrank für die Wäsche. Du mußt deinen Koffer auspacken.«
Stefano wunderte sich, daß er nichts dagegen einzuwenden hatte. So lange hatte er ihn dort stehen lassen, um ihn jederzeit wieder schließen zu können, um wieder aufzubrechen. Wohin? Das hatte er auch zu Giannino gesagt und hatte damit auf das Gefängnis angespielt, auf jenes Blatt Papier, das jederzeit eintreffen, ihn wieder in Handschellen legen und ihn wer weiß wohin verschicken konnte. Jetzt dachte er nicht mehr daran. »Ich möchte sie dort lassen, wo sie ist.«
Elena schaute ihn in ihrer verdrossenen Beflissenheit an. Stefano fühlte, daß er so nicht fortgehen konnte, daß er diesen Morgen mit ein bißchen Liebe beschließen mußte; und er hatte keine Lust dazu, er wollte sie nicht daran gewöhnen; unentschieden stand er unter der Tür.
»Geh, geh«, sagte Elena und wurde dunkelrot, »geh baden. Du stehst ja auf Kohlen.«
»Siehst du, morgens sind wir allein«, stammelte Stefano, »wirst du jetzt immer morgens kommen?« Elena machte, gleichsam zur Antwort, eine ausweichende Handbewegung, und Stefano ging fort. Die Tage waren noch so lang, daß man nur einen Augenblick innezuhalten und um sich zu schauen brauchte, um sich einsam, von aller Zeit abgeschieden zu fühlen. Stefano hatte entdeckt, daß der Himmel über dem Meer kühler, gleichsam gläsern wurde, als erneuere er sich. Wenn man den nackten Fuß auf den Sand setzte, war es, als träte man auf Gras. Das geschah nach einem nächtlichen Gewittersturm, der sein Zimmer unter Wasser gesetzt hatte. Das schöne Wetter kehrte wieder, aber am Vormittag – er ging jetzt früher an den Strand, weil viele der Gäste im Wirtshaus ihn langweilten und Giannino und ein paar andere erst am Mittag dort erschienen – war an die Glut, den strahlenden Sonnenschein der Hundstage nicht mehr zu denken. An manchen Vormittagen bemerkte Stefano, daß große mit Segeltuch überzogene Fischerboote, die bisher auf dem Trockenen gelegen hatten, nachts ins Meer geschoben worden waren; und nicht selten überraschte er Fischer dabei, die er zuvor nie gesehen hatte, wie sie die noch feuchten Netze flickten.
Zu dieser noch kühleren Tageszeit kam Pierino, der Zöllner, häufig. Beim Anblick seiner muskulösen, kaum zwanzigjährigen Glieder dachte Stefano neidvoll an das dunkle Blut, das ihnen ihre Kraf verleihen mußte, und fragte sich, ob dieser toskanische Jungstier nicht auch ein Mädchen hatte. Am Mundwerk fehlte es ihm ja nicht. Und sein Körper war wie geschaffen für Concia. Unter diesen Gedanken überlegte er eines Tages, daß Giannino niemals mit ihnen zusammen im Meer gebadet hatte; blond und fleischig, war selbst Gaetano gekommen; Giannino niemals. Er mußte eckig und mager sein, sagte sich Stefano, sehnig und knorrig, wie die Frauen es mögen. Vielleicht legten die Frauen keinen Wert auf Muskeln.
Stefano redete und scherzte mit Pierino auf dem Felsen. »Auch Sie sind seßhaf«, sagte er eines Morgens anzüglich, aber Pierino erinnerte sich an nichts. »Wir werden hier nicht mehr lange in der Sommerfrische sein«, begann er wieder und deutete mit dem Kinn auf einen weißlichen Flaum am Himmel über dem Hügel. »Man hat mir erzählt, im Winter herrsche hier eine Wolfskälte.«
»Ach was, ich habe schon im Januar gebadet.« »Sie haben anderes Blut,« sagte Stefano.
»Und Sie, haben Sie etwa das Wechselfieber?« »Noch nicht, aber ich werde es mir in diesen Nächten holen.«
»Schauen Sie sich doch nur dieses Dorf an«, sagte Pierino, verächtlich dreinblickend, und streckte seine Arme nach dem Ufer aus.
Stefano lächelte. »Wenn man es richtig kennt, ist es ein Dorf wie jedes andere. Ich bin seit vier Monaten hier und schon finde ich es erträglich. Wir sind hier in der Sommerfrische.«
Pierino schwieg und ließ den Kopf hängen. Stefano schaute auf den Schaum zu seinen Füßen, eine vorüberziehende Wolke verdunkelte das Meer.
»Da sehen Sie doch, was für ein Dorf!« sagte Pierino noch einmal und zeigte ein paar schwarze Punkte, die unterhalb der letzten Strandzunge über einem Sonnenfleck im Meer verstreut waren. »Da, sehen Sie doch! Das ist die Frauenabteilung.«
»Vielleicht sind es Jungen«, brummte Stefano. »Ach was, das ist der Frauenstrand«, sagte Pierino und stand auf. »Was meinen diese Frauen wohl, in ihrem Schoß zu tragen? Wenn niemand sie anrührt, werden sie niemals Frauen.«
»Ich versichere Ihnen, daß die schon jemand anrührt«, bemerkte Stefano, »so viel
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