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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cesare Pavese
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stützte. Ein bißchen Wasser schwappte über den Schüsselrand. Als sie einen Schritt tat, trat sie ins Nasse.
    Unter der offenen Tür erschien, betreten, das kleine Mädchen wieder. Hinter ihr im Dunklen stand Giannino. Concia drehte sich kaum um, als Giannino sagte: »Dein Kind da sollte man in den Hühnerstall sperren«, und lachte und brummte dabei etwas vor sich hin. Stefano ahnte eine undeutliche Gestalt hinter Giannino, die sich sofort zurückzog, als Giannino ihm sagte: »Kommen Sie, Herr Ingenieur?«
    Ohne noch ein Wort zu verlieren, gingen sie hinaus an die Luf, wo es noch hell war. Als sie auf dem Deich standen, wandte sich Stefano nach dem Haus um und sah ein erleuchtetes Fenster. Vor dem fahlen Meer wirkte es wie die Laterne auf einem Fischerboot, die schon für die offene See angezündet ist.
    Giannino an seiner Seite schwieg und Stefano, der noch schweißgebadet war, dachte daran, wie of sein hitziges Blut ihn hinausgetrieben hatte auf das trostlose Land, wo er seine Einsamkeit zu vergessen suchte. Sie schienen einer längst vergangenen Zeit anzugehören, diese reglosen Augustnachmittage, einer Zeit, die harmlos und kindlich war im Vergleich zu der kalten Vorsicht, die ihn jetzt umgab.
    Er sagte zu dem schweigsamen Giannino: »Dieses Kind, das da entwischt ist …«
    »… ist Concias Tochter«, sagte Giannino unumwunden.
    Natürlich. Auch Giannino sprach ruhig und dachte, während er zu den Häusern hinunterschaute, an etwas ganz anderes. Stefano begann zu lächeln.
    »Catalano, paßt Ihnen etwas nicht?«
    Giannino antwortete nicht sofort. Seinen hellen Augen war nichts anzusehen, als daß er an etwas anderes dachte.
    »Dummheiten«, sagte er langsam. »Dummheiten«, sagte Stefano.
    Im zarten Schein des ersten Leuchtfeuers trennten sie sich vor dem Wirtshaus auf der Straße, auf der keine Kinder mehr spielten. Seit ein paar Tagen kam Stefano im Dunkeln nach Hause.
    In seinem Zimmer, vor seinem sauberen, gemachten Bett dachte Stefano an Concias nackte Füße, die alles, was sie berührten, beschmutzen mußten. Nach ein bißchen Brot, Oliven und Feigen löschte er das Licht und betrachtete, rittlings auf seinem Stuhl, das fahle Viereck des Fensters. Eine dampfende Feuchtigkeit erfüllte das Höfchen, der Bahndamm war dunkel, als gebe es dahinter keinen Strand. Gedanken über Gedanken warteten, denn der gewohnte Abend war kurz. Im dunklen Zimmer starrte Stefano auf die Tür. Nach einiger Zeit merkte er, wie er von dem vergangenen Sommer phantasierte, von den schweigenden Nachmittagen in dem glühend heißen Zimmer, von dem Geifern des Windes, von der rauhen Flanke des Kruges, von seiner Einsamkeit, wenn das Brummen einer Fliege Himmel und Erde erfüllte. Diese Erinnerung war so lebendig, daß Stefano sich nicht aufraffen konnte, um sich zu zwingen, an die Dinge zu denken, die ihn an diesem Tag erschüttert hatten, als er ein Knirschen hörte und hinter der Scheibe Gianninos hageres Gesicht erschien.
    »Sitzen Sie im Dunkeln?« fragte Giannino.
    »Das ist mal was anderes«, und Stefano schloß hinter ihm die Tür.
    Giannino ließ nicht zu, daß er Licht machte, und sie setzten sich im Dunklen. Auch Giannino zündete sich eine Zigarette an.
    »Sie sind allein«, sagte er.
    »Ich dachte daran, daß ich die schönsten Augenblicke dieses ganzen Sommers hier drin verbracht habe, allein wie in einem Gefängnis. Das schlimmste Geschick wird zum Vergnügen. Man braucht es sich nur selbst auszusuchen«.
    »Das sind Streiche, die einem das Gedächtnis spielt«, brummte Giannino. Er stützte eine Wange auf die Stuhllehne und schaute Stefano unverwandt an. »Man lebt mit den Leuten, aber an seine eigenen Angelegenheiten denkt man, wenn man allein ist.«
    Dann lachte er nervös. »Vielleicht haben Sie heute abend jemand erwartet … Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie sich das selbst ausgesucht haben, hier herunter zu kommen. Man sucht sich sein Schicksal nicht aus.«
    »Man braucht es nur zu wollen, noch ehe es einem auferlegt wird«, sagte Stefano. »Es gibt kein Schicksal, nur Grenzen. Das schlimmste Geschick ist, sie zu erdulden. Man muß entsagen.« Giannino hatte etwas gesagt, aber Stefano hatte es nicht verstanden. Er hielt inne und wartete. Aber Giannino schwieg. »Was meinten Sie?«
    »Nichts. Jetzt weiß ich, daß Sie niemand erwarteten.« »Gewiß. Warum?«
    »Sie sprechen zu verbittert.« »Meinen Sie?«
    »Sie sagen da Dinge, die ich nur sagen würde, wenn ich mein Vater wäre.«
    In diesem

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