Die Verbannung
Augenblick tauchte vor dem Fenster verschwommen ein bleiches Gesicht auf. Stefano packte Giannino beim Arm und hielt die rote Spitze seiner Zigarette nach unten, um sie zu verbergen. Giannino rührte sich nicht.
Das lauschende Gesicht zerrann auf der Scheibe, ein Schatten auf dem Wasser. Die Tür öffnete sich, und an ihrem Zögern erkannte Stefano Elena. Er schloß jede Nacht mit dem Schlüssel ab, und sie wußte das. Sie mußte glauben, er sei fort.
Durch den Spalt drang die Kälte von außen ein. Verloren und unwirklich zögerte das Gesicht nochmals ein wenig, dann schloß sich der Spalt quietschend wieder. Giannino bewegte seinen Arm, und Stefano flüsterte: »Still!« Sie war fortgegangen.
»Ich habe Ihnen den Abend verdorben«, sagte Giannino in die Stille hinein.
»Es war wegen des Schrankes, sie kam, damit ich mich bei ihr bedanke.« Wenn man sich umdrehte, sah man undeutlich seinen hellen Umriß. Giannino drehte sich einen Augenblick um und dann sagte er: »Ihnen geht's doch nicht schlecht, mit Ihrem Schicksal.«
»Eins lassen Sie sich gesagt sein, Catalano, Sie haben mir den Abend nicht verdorben.«
»Meinen Sie? Eine Frau, die nicht eintritt, wenn sie die Tür offen findet, ist eine Kostbarkeit.« Er warf seine Zigarette fort und stand auf. »Eine Seltenheit, Herr Ingenieur. Und Sie macht Ihnen das Bett und schenkt Ihnen Schränke! Ihnen geht es besser, als wenn Sie verheiratet wären.«
»Alles in allem wie Ihnen, Catalano.«
Er glaubte, Catalano zünde das Licht an, aber das tat er nicht. Er hörte, wie er sich bewegte, ein paar Schritte tat, und dann sah er, wie er an die Tür ging, sich gegen sie lehnte, und wie sein Profil sich auf der Scheibe abzeichnete.
»War Ihnen das heute sehr unangenehm?« fragte er tonlos. »Ich weiß selbst nicht, warum ich Sie in dieses Haus mitgenommen habe.«
Stefano zögerte. »Ich bin Ihnen sogar dankbar dafür. Aber ich glaube, Ihnen war es unangenehm.« »Ich hätte Sie nicht mitnehmen sollen«, sagte Giannino nochmals. »Sind Sie eifersüchtig?«
Giannino lächelte nicht. »Es ist mir unangenehm. Man muß sich über jede Frau schämen. Das ist Schicksal.«
»Entschuldigen Sie, Catalano«, sagte Stefano gelassen, »ich weiß doch gar nichts über Sie und die Frauen. In diesem Haus gibt es so viele, daß ich ziemlich unsicher war, wie ich mich verhalten sollte. Wenn Sie sich schämen wollen, erklären Sie mir erst warum.« Gianninos Profil verschwand. Mit einem Ruck drehte er sich um.
»Für mich«, fuhr Stefano fort, »ist auch die kleine Foschina Ihre Tochter. Ich weiß darüber gar nichts.« Giannino lachte wieder auf die gleiche nervöse Art. »Sie ist nicht meine Tochter«, sagte er zähneknirschend, »aber sie wird sozusagen meine Schwägerin. Sie ist die Tochter des alten Spanò. Wissen Sie das nicht?«
»Den Alten kenne ich nicht. Ich weiß gar nichts.« »Der Alte ist tot«, sagte Giannino und lachte ungeniert. »War ein rüstiger Mann, der mit siebzig Jahren noch zeugte. Ein Freund meines Vaters, der es faustdick hinter den Ohren hatte. Als er starb, nahmen die Frauen das Mädchen und das Kind zu sich ins Haus, damit die Leute nichts zu reden hätten, um über die Verwandte zu wachen, aus Eifersucht. Sie wissen doch, wie sie sind, die Weiber.« »Aber nein«, sagte Stefano.
»Spanòs andere Tochter, die dreißig Jahre ist, be-
komme ich zur Frau. Mein Vater hält darauf.«
»Carmela Spanò?«
»Sehen Sie, Sie sind im Bilde.«
»So wenig, daß ich, entschuldigen Sie, glaubte, Sie steckten mit Concia unter einer Decke.«
Giannino schwieg ein Weilchen, zum Türfenster gewandt.
»Sie ist ein Mädchen wie jedes andere«, sagte er schließlich. »Aber sie ist zu dumm. Der Alte hat sie aus den Kohlengruben geholt. Nur die alte Spanò konnte es fertigbringen, sie zu sich ins Haus zu nehmen.« »Maßt sie sich zuviel an?« »Sie ist eine Magd.«
»Aber bis auf das Gesicht ist sie wohl geraten.« »Da haben Sie recht«, sagte Giannino nachdenklich. »Sie hat sich so lange in den Ställen herumgetrieben und hat die Schafe angeschaut, daß sie ein bißchen ein Tiergesicht bekommen hat. Wir waren Kinder, als ich mit dem alten Spanò in die Berge ging, und sie hob den Rock, um sich wie ein Hund mit dem bloßen Hintern ins Gras zu setzen. Sie ist die erste Frau, die ich berührt habe. Auf ihrem Hintern hatte sie Schwielen und Schorf.«
»Immerhin«, sagte Stefano. »Etwas haben Sie mit ihr
gehabt.«
»Dummheiten«, sagte Giannino.
»Und jetzt hat sie
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