Die Verbannung
bemoost, und die steinernen Türschwellen, die verwitterten Türflügel waren schutzlos der grausamen Feuchtigkeit preisgegeben. Das innere Licht, das der Sommer den Häusern entlockt hatte, war verloschen.
»Wie ist das Meer im Winter?« fragte Stefano. »Schmutziges Wasser. Entschuldigen Sie, ich gehe für einen Augenblick in ein Haus, um etwas auszurichten. Kommen Sie mit?«
Sie waren auf dem Deich stehengeblieben, standen still vor dem unbewegten und undeutlichen Horizont, und unter ihnen, wenige Schritte von ihnen entfernt, lag das Geranienhaus.
»Gehen Sie dorthin?« »Wo soll ich sonst hingehen?«
Sie gingen eine Erdtreppe hinunter. Die Fenster waren geschlossen, die kleine Loggia hing voller Bettlaken, die man unter dem Dach aufgehängt hatte. Nasser Kies knirschte unter ihren Füßen. Die Tür war angelehnt.
»Kommen Sie nur mit«, brummte Giannino. »Wenn Sie dabei sind, wird man mich nicht dabehalten.« Stefano hörte das Klatschen der Brandung hinter dem Haus. »Hören Sie, machen Sie doch …«
Aber Giannino war schon im Haus, er tappte im Dunkeln nach einer unsichtbaren Tür und fingerte an ihrer Klinke herum. Da erhob sich in einem Zimmer, von dem man ahnte, daß es hell war und auf das Meer hinausging, ein Summen, fast ein Singen. Die Tur tat sich auf, und in einer Woge von Licht und Luf erschien ein kleines barfüßiges Mädchen.
Eine helle Frauenstimme schrie etwas in das Brausen des Windes. Man hörte, wie ein Fenster hefig geschlossen wurde. Das Kind, das sich an die Türklinke klammerte, rief: »Carmela! Carmela!« und Giannino hob es zu sich empor und verschloß ihm den Mund. Am Fenster stand, aufrecht in ihrem schmutzigen gestreiften Kleid Concia.
»Still ihr beiden«, sagte Giannino, betrat die Küche und setzte das Kind auf den Tisch. Dann: »Toschina, der Pfaff kommt und frißt dich auf. Du mußt sie die ›signora‹ nennen und nicht Carmela.« Concia lachte schweigend, wobei sich ihre Lippen ein wenig öffneten, und strich sich die Haare mit dem Arm zurück. Ihr fleischiger Mund sah dabei so glücklich aus, als presse er sich gegen ein Kopfissen.
»Hör mal, Concia, du sagst morgen, meine Mutter lasse ausrichten, sie käme, um ihre Pflicht zu tun. Du sagst, sie habe mit dir gesprochen.«
Das kleine Mädchen schaute Stefano von unten an, riß sich los und sprang mit einem Plumps vom Tisch. Auch Concia ließ ihre Augen auf Stefano ruhen, während sie Giannino mit raschen guttural klingenden Worten antwortete. »Ich werd's ihr sagen, der Armen, aber sie weint heute schon den ganzen Tag.« Ihre dunkle Kehle hüpfe bei diesen Worten wie ihre Lippen und ihre Augen, aber ohne alle Süßigkeit. Ihre Stirn war so niedrig, daß sie ihre Augen beinahe entstellte. Wenn sie still stand, spielten ihre hohen Hüften nicht und verloren ihre Anmut.
In diesem Augenblick öffnete das kleine Mädchen blitzschnell die Tür, an die es sich herangemacht hatte, und entwischte schreiend. Giannino rannte ihm nach, um es einzufangen, und verschwand unter Concias lautem Gelächter.
In der grauen Meeresdämmerung ging Concia barfüßig
mit ihrem gewohnten Schritt durch die Küche. Stefano sah in einer Ecke den Krug, den er kannte. Concia hantierte etwas auf dem Herd, und sofort stieg ein starker Geruch nach Gewürzen und Essig davon auf. Fern im Haus hörte man Stimmen. Concia drehte sich mit einer ihrer plötzlichen Bewegungen ganz unbefangen um; das Licht war schon so trübe, daß die dunklen und fleischfarbenen Töne in ihrem Gesicht ineinander verschwammen. Stefano schaute sie unverwandt an. Die Stimmen im Oberstock verstummten. Jetzt mußte er sprechen. Concias Lippen waren leicht geöffnet, zum Lachen bereit.
Anstatt zu sprechen, schaute Stefano zum Fenster hinüber. Er ließ seinen Blick über die ganze Wand schweifen. Sie war niedrig und rauchgeschwärzt, und das Licht war bläulich von der Holzkohle.
»Hier muß es im Sommer kühl sein«, sagte er schließlich.
Concia schwieg, über den Herd gebeugt, als habe sie
nichts gehört.
»Fürchten Sie sich nicht vor Dieben?«
Mit einem Ruck drehte Concia sich um. »Sind Sie ein Dieb?« Sie lachte.
»Ich bin ein Dieb wie Giannino«, sagte Stefano zö-
gernd.
Concia zuckte mit den Schultern.
Stefano sagte: »Mögen Sie Giannino nicht gern?« »Ich mag den, der mich mag.«
Sie ging mit einem wohlwollend verächtlichen Lächeln durch die Küche und nahm eine Schüssel vom Bord, kehrte zum Herd zurück und neigte den Krug, den sie auf ihre Hüfe
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