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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cesare Pavese
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herein«, hatte er ihm verärgert gesagt. »Ich komme nicht herein, Cavaliere. Wenn Ihnen dann etwas fehlt – ich bin doch kein Dieb.«
    Er strömte den Gestank eines nassen Hundes aus. Im trüben Morgenlicht schien das ganze Zimmer zu triefen, eisig, armselig in seinen vier Wänden mit dem zusammengestoppelten Mobiliar.
    Dann war Stefano hinausgegangen in Regen und Schmutz, um das Meer zu sehen. Bei seiner Rückkehr hatte er Elena vorgefunden, die den Besen abgestellt hatte und sein Bett machte. Er hatte den hölzernen Laden hinter sich geschlossen, war auf sie zugegangen, hatte sie umarmt und auf das Bett gezogen. Und obwohl Elena sich wehrte, weil seine nassen Schuhe den Bettvorleger beschmutzten, war er an diesem Tag, auch mit Worten, sehr liebevoll zu ihr und sehr bewegt. Und sie hatten ohne Zorn miteinander geredet. »Warum bist du hinausgegangen und hast dich schmutzig gemacht?«
    Stefano hatte mit geschlossenen Augen gemurmelt: »Der Regen wäscht doch rein.«
    »Bist du wieder mit deinem Freund auf der Jagd ge-
wesen?« wisperte Elena.
»Mit was für einem Freund?«
»Mit Don Giannino …«
»Einem Priester?«
    Elena legte ihm die Hand auf den Mund. »Der bringt dir diese Dinge bei …«
    »Ich war draußen, um es wie ein Bettler zu halten.« »Ein Ausreißer.« In Elenas Stimme klang ein herbes Lächeln mit.
    »Gerade Catalano hat mir gesagt, daß hier alle Ausreißer sind. Das ist ein Beruf …«
    »Catalano ist ein Narr. Glaube nur nicht, was der sagt. Mit dem hat seine Mutter was mitgemacht. Ein ungezogener Kerl. Du weißt ja nicht, was der getan hat …« »Was hat er denn getan?« sagte Stefano und erwachte. »Ein übler Bursche … Glaub ihm nicht.«
    Stefano hörte im Dunkeln Elenas grollende, leise, fast mütterliche Stimme wieder. Belustigt dachte er an seine damalige Frage zurück: »Hat er dich gekränkt, weil er sich nicht um dich gekümmert hat? Oder hat er sich zu viel gekümmert?« Und plötzlich überkam ihn Scham über seine törichte Gemeinheit. Der Gedanke, daß er auch mit Elena gemein sein konnte, war ihm unangenehm und überraschte ihn um so mehr, als in solchen Fällen Gemeinheit eine Stärke bedeutete, die einzige Stärke, die der gefährlichen Unangreifarkeit, mit der eine Frau sich erdrücken läßt, ihre Grenzen setzt.
    Und jetzt war der Schrank gekommen. Dann war Elena gekommen und war schweigend wieder fortgegangen. In dieser Demut, dachte Stefano, lag ihre ganze Stärke, in diesem demütigen Erdulden, das an die Zärtlichkeit und das Mitleid des Stärkeren appelliert. Da war Concias hocherhobenes Gesicht ohne Röte und Sanfmut schon besser; da war die Schamlosigkeit ihrer Augen besser. Aber vielleicht konnte auch Concia dreinblicken wie ein Hund.
    Angeekelt davon, daß er wieder in seine früheren zwielichtigen Gedanken verfiel, schüttelte Stefano sich im Dunkeln. Er wünschte sogar, Elena möge wiederkommen. Der Sarkasmus seiner Einsamkeit hielt nicht stand. Und wenn er an diesem Abend voller Neuigkeiten und plötzlicher Erinnerungen ins Wanken geriet, wie sollte er dann am nächsten Tag standhalten? Kampflos, das spürte Stefano jetzt, konnte man nicht einsam sein; aber einsam sein bedeutet, nicht mehr kämpfen wollen. Das war wenigstens ein Gedanke, der ihm Gesellschaf leistete, eine heikle Gesellschaf, die sehr bald ihr Ende finden würde.
    Stefano stand auf und machte das Licht an, alles wankte ihm vor den Augen. Als er sie wieder öffnete, stand Elena unter der Tür und schloß mit dem Rücken die Läden.
    Ohne ihr von dem Schrank zu sprechen, fragte er sie, ob sie die ganze Nacht bleiben wolle. Elena schaute ihn halb ungläubig, halb erstaunt an, und Stefano ging ohne zu lächeln auf sie zu.

    In dem schmalen Bett hatten sie zusammen kaum Platz, und Stefano überlegte, daß er bis zum Morgengrauen nicht einschlafen würde. An diesen weichen Körper geschmiegt, starrte er zu der finsteren, kaum sichtbaren Decke empor. Es war tiefe Nacht, und Elenas leichter Atem streife seine Schulter. Wieder war er allein.
    »Lieber, zu zweit haben wir keinen Platz. Ich gehe fort«, hatte sie gesagt, sich aber nicht gerührt. Vielleicht war sie eingeschlafen. Stefano streckte seinen Arm aus und tastete nach den Zigaretten, Elena schmiegte sich seiner Bewegung an, darum setzte sich Stefano im Bett auf, steckte die Zigarette zwischen die Lippen und schaute ins Dunkle, unentschlossen, ob er sie anzünden solle. Als er das Streichholz anriß, erbebten die tiefen Schatten über ihren

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