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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cesare Pavese
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solange allein aus, bis jemand darunter leidet, daß wir nicht bei ihm sind, die wahre Einsamkeit hingegen ist eine unerträgliche Zelle. Du tust mir leid, Mütterchen. Man mußte das nur wiederholen, und die Nacht wurde süß.
    Schließlich kam der Zug mit seinem wilden Pfeifen, der allnächtliche Zug, der wie ein Orkan über ihn herfiel während er mit halbgeschlossenen Augen dalag. Einen Augenblick blitzten die Zugfenster auf, dann kehrte die Stille wieder. Gelassen kostete Stefano die Qual altvertrauten Heimwehs, das seine Einsamkeit wie ein Lichtschein umgab. Sein Blut raste wirklich mit diesem Zug um die Wette die Küste hinauf, die er vor so langer Zeit in Handschellen heruntergefahren war. Das Fenster wurde wieder fahl wie zuvor. Jetzt, nachdem er sie fortgejagt hatte, dachte er mit zärtlicher Rührung an sie. Er konnte sich sogar nach ihr sehnen, solange sein ermattetes Blut ruhig war, stammelte er in Gedanken.

    Unter Regengüssen und Sonnenschein verlor die Straße ihr unveränderliches Aussehen; und es konnte morgens schön sein, sich an eine Ecke oder an das Mäuerchen auf der Piazza zu lehnen und den vorüberfahrenden Karren – mit trockenem Kraut und Saatgut – nachzuschauen, den Karren der Fuhrleute, den Bauern auf ihren ungesattelten Eseln, dem Trott der Schweine. Stefano sog den feuchten, ein wenig mostigen Geruch, in dem sich Regen und Kellerdunst vermischten, in sich ein. Dort hinter dem Bahnhof lag das Meer. Zu dieser Tageszeit spendete der Schatten des Bahnhofs dem Platz Kühle bis auf ein Fleckchen Sonne, das durch die verbotene Glaswand über die zitternden oder ruhigen Geleise fiel. Der Bahnsteig bedeutete den Sprung ins Nichts. Wie Stefano, so lebte auch der Bahnhofsvorsteher am Rande dieses Nichts, kam und ging am Saum des Abschieds, im schwankenden Gleichgewicht der unsichtbaren Wand. Am Meer entlang fuhren schwarz, als seien sie von der Sonne der vergangenen Hundstage verbrannt, die Züge hinaus in weite immer gleiche Fernen. Dieser Bahnhofsvorsteher war ein gealterter, kraushaariger, unflätiger Riese, der die Gepäckträger anschrie und unversehens in Gelächter ausbrach, immer im Mittelpunkt eines Kreises von Menschen. Wenn er allein über den Platz ging, bot er den traurigen Anblick eines Ochsen, der allein im Geschirr geht. Durch ihn hörte Stefano das erste Mal davon. Er hatte sich auf dem Plätzchen zwischen Gaetano und zwei alten Männlein aufgepflanzt. Einer von den beiden Alten rauchte Pfeife. Gaetano hörte ihnen zu und gab dabei Stefano, der stehengeblieben war, ein Zeichen, er solle näher treten. Stefano lächelte, und in diesem Augenblick brummte der Bahnhofsvorsteher mit knarrender Stimme: »Catalano, der kann erzählen, was für Huren es gibt! Unglaublich, diese Weiber!« »Was ist mit ihm?« fragte Stefano Gaetano mit lachenden Augen.
    »Kennen auch Sie ihn?« sagte der Bahnhofsvorsteher und drehte sich mit rotem Gesicht zu ihm um. »Er ist schwanger und will es nicht wahrhaben. Das ist mit ihm.«
    Auch Stefano lächelte, dann schaute er Gaetano fragend an. Mit seinem sorgenvollen Gesicht sah Gaetano so aus wie damals, als sie sich noch nicht kannten. Seine beflissenen Äuglein maßen Stefano, und er sagte ihm im Vertrauen: »Heute früh hat der Wachtmeister Catalano in die Kaserne kommen lassen und hat ihn verhafet …« »Wie?«
    »Anscheinend liegt aus San Leo eine Anzeige wegen Notzucht vor.«
    Einer von den beiden Alten redete dazwischen: »Ihr werdet schon sehen, da kommt auch ein Kind.« »Der Wachtmeister ist unser Freund«, fuhr Gaetano fort, »und hat ihn rücksichtsvoll behandelt. Er hat ihn in der Kaserne verhafet, um seine Mutter nicht zu erschrecken. Dann hat er den Doktor holen lassen, der sollte ihr Bescheid sagen …«
    Ein leichter Windhauch, der nach Meer und nach Frische roch, strich vorüber. Die Erde auf dem Platz war schmutzig braun, mit Rot untermischt, sie glänzte von Pfützen. Stefano sagte fröhlich:
    »Man wird ihn sofort freilassen. Ihr glaubt doch selbst nicht, daß sie ihn wegen solcher Dummheiten dabehalten?«
    Alle vier schauten ihn unfreundlich an, auch der Bahnhofsvorsteher. Der Alte, der vorher gesprochen hatte, schüttelte den Kopf, und beide grinsten.
    »Sie wissen nicht, was Gefängnis heißt«, sagte Gaetano zu Stefano.
    »Es ist eine große Sakristei, von der aus es zum Standesamt geht«, erklärte der Bahnhofsvorsteher und verschlang ihn mit den Augen.
    Gaetano faßte Stefano unterm Arm und ging mit ihm zum Wirtshaus

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