Die Verbindung: Thriller (German Edition)
hinein.
»Meine Schicht ist jedenfalls bald zu Ende«, fügte Brolin hinzu. »Warum sehen Sie nicht einfach nach, was drin steht?«
»Okay.« Carlyle seufzte, weil er daran dachte, dass seine eigene Schicht vor mehr als einer Stunde zu Ende gegangen war. Das hast du davon, wenn du Scheiße baust , sagte er sich. Er hatte in letzter Zeit zwei- oder dreimal seine Schlüssel vergessen. Vielleicht wurde er alt: Verlust des Kurzzeitgedächtnisses. Vielleicht sollte er immer Ersatzschlüssel bei sich tragen. Das war eine gute Idee. Er müsste bloß rechtzeitig daran denken.
Vor seinem inneren Auge erschien das Bild seiner Frau, die glücklich unter dem Plumeau in seinem schönen warmen Bett vor sich hin schnarchte. Dann wurde das Bild langsam und grausam immer kleiner, bis es schwarz wurde. Seufzend riss er den Umschlag auf und zog ein einzelnes Blatt Papier heraus. »Sehen wir mal, was darin steht, und dann können wir beide nach Hause gehen«, murmelte er. Er ließ den leeren Umschlag auf den Empfangstresen fallen, faltete das Blatt Papier auseinander und überflog den Inhalt.
Es war ein normales Blatt Hotelbriefpapier, aber gute Qualität, schweres graues Papier, das oben den Namen und die E-Mail-Adresse des Hotels eingeprägt trug. Die gleiche Handschrift wie auf dem Umschlag hielt einfach fest: LEICHE IN 329. NICHT DIE ERSTE & NICHT DIE LETZTE . Unter dem Text befanden sich zwei dunkle Flecken, die wie Blut aussahen. Sie waren von dem Papier aufgesogen worden, aber noch nicht getrocknet.
Carlyle hielt die handgeschriebene Notiz zuerst Prentice und dann Brolin hin. »Wissen Sie irgendetwas darüber?«
»Nein«, sagte Brolin mürrisch. »Das hab ich Ihnen doch schon gesagt.«
Diese Mitteilung war, wie Carlyle bereits wusste, zu nahezu hundert Prozent reine Zeitverschwendung. Eine Leiche in einem Hotelzimmer, wenn überhaupt eine dort war, wäre verdächtig, aber nicht unbedingt mit einem Verbrechen verbunden. Die Polizeistation Charing Cross hatte im vergangenen Jahr sieben »verdächtige« Todesfälle registriert, von denen schließlich fünf als Mord oder Totschlag eingestuft wurden. Alle diese Fälle waren ordnungsgemäß gelöst worden, und keiner von ihnen war mit Touristen oder Hotels verbunden gewesen. Nach der Hälfte des laufenden Jahres hatten sie bereits sechs verdächtige Todesfälle, von denen fünf Ergebnis eines Verbrechens waren, während die Ursache des letzten noch nicht feststand. Das Gesetz des Durchschnitts ließ Carlyle vermuten, dass diese Mitteilung vonjemandem stammte, der sich für einen Witzbold hielt. Menschen machten zum Teil unglaublich dämliche Sachen, wie er nur zu gut wusste. Und wie er sogar noch besser wusste, kamen sie in der Regel damit durch und überließen es anderen, einem Schatten nachzujagen oder die Sauerei wegzuräumen.
Doch ob Zeitverschwendung oder nicht, natürlich müsste er dies jetzt selbst überprüfen, nur für alle Fälle. Carlyle sah mehrere Stunden sinnloser Arbeit vor sich und spürte, wie er innerlich schlaff wurde. Er biss die Zähne zusammen, um seinen Zorn im Zaum zu halten.
»Das hier«, sagte er und zeigte auf Brolin, »ist hoffentlich nicht die Schnapsidee eines Ihrer abgefuckten Gäste.« Carlyle merkte, dass er vor lauter Müdigkeit kurz davor war, in eine Tirade zu verfallen, aber Prentice bewahrte ihn davor, indem er ihm eine Hand auf den Arm legte. Carlyle bedankte sich mit einem Nicken für sein rechtzeitiges Einschreiten. Er begriff, was der Sergeant ihm damit sagen wollte: Erschieß den Boten nicht – auch wenn er ein Trottel zu sein scheint.
Brolin streckte ihm entschuldigend die Hände entgegen. »Ich hab Ihnen nur den Brief gebracht.«
Carlyle kratzte sich am Kopf. »Okay, Sie haben ja recht.« Er holte tief Luft und warf das Blatt Papier neben den Umschlag auf dem Empfangstresen. »Sie tüten das besser ein, Dave, falls sich das hier als echt erweist. Holen Sie einen der Constables her, dann ziehen wir los und sehen uns die Sache an.« Er wandte sich an Brolin. »Sie warten hier. Ich bin in einer Sekunde zurück, sobald ich meine Schlüssel geholt habe.«
Sieben
Das Garden Hotel an der St. Martin’s Lane knapp nördlich vom Trafalgar Square war ein Bürogebäude aus den Sechzigerjahren, das in den frühen Neunzigern von dem mexikanischen Milliardär Jeronimo Borgetti gekauft worden war. Borgetti hatte anschließend einen supercoolen amerikanischen Designer namens Alan Wall engagiert, der das Gebäude in ein luxuriöses
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