Die Verbindung: Thriller (German Edition)
Sie stellte sich nicht vor, aber Carlyle nahm an, dass sie die Assistentin seiner Vorgesetzten sein müsse.
»Tut mir leid, dass Sie warten müssen.«
»Das ist okay.« Carlyle lächelte. Er hatte sich bereits mit einer langen Wartezeit abgefunden, sodass es relativ leicht war, liebenswürdig zu sein. Die persönliche Assistentin war eine stämmige junge Frau Mitte zwanzig, die verschmitzte graue Augen hatte und einen faszinierenden limettengrünen BH trug, der unter ihrer transparenten weißen Bluse deutlich sichtbar war.
Sie ließ ihn ein paar Sekunden glotzen. »Kann ich Ihnen irgendwas bringen?«
»Nein, ich bin wunschlos glücklich.«
»Falls Sie doch etwas brauchen, sagen Sie einfach Bescheid.« Sie lächelte, bevor sie wieder in ihrem Büro verschwand.
Carlyle archivierte den BH in seiner Datenbank glücklicher Gedanken und fuhr mit der Lektüre seines Artikels fort.
Die Brüder sind Aushängeschilder für »den neuen Schick«, die elegante, wissende, ironische Elite, die die Liberalen mit ihren eigenen Waffen schlagen kann. Deshalb lassen sie ihre Nobelschlitten weitgehend in der Garage stehen – Edgar hat einen Porsche Cayenne 4 x 4 und Xavier nicht einen, sondern zwei Maseratis – und sorgen dafür, dass sie ausschließlich in ihren zusammenpassenden umweltfreundlichen Prius-Hybridautos fotografiert werden.
Xavier hat sich außerdem ein Fahrrad angeschafft, manche sagen, auf Anweisung seines Bruders, mit dem er regelmäßig zur Arbeit ins Unterhaus fährt. »Es erinnert mich an meine Zeit in Eton«, sagte Xavier kürzlich, »an die offenkundig glücklichste Zeit meines Lebens. Und wenn man unterm Strich das große Bild betrachtet, kann man sehen, dass es auch um die Freiheit des Individuums geht und darum, sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen, anstatt sich von einem anmaßenden Staatswesen bevormunden zu lassen, das unseren Unternehmungsgeist erstickt und uns bis aufs Hemd ausziehen will.«
Camping – nicht wie bei den Pfadfindern; stattdessen denke man an eine Fünftausend-Pfund-Jurte, in der man mit einem Glas Chablis in der linken Hand sich bei seinem Assistenten per iPhone über sein WLAN beklagt –, Musikfestivals und Ferien an der britischen Küste haben alle die Zustimmung der Carltons gefunden. Die Zeiten mögen hart sein, aber sie lachen der Rezession ins Gesicht. Deshalb dreht sich alles um die Lebensqualität. Ist trotzdem alles Schwindel? Natürlich. Aber wenn alles Schwindel ist, dann ist nichts Schwindel. Was ist ein Traum, wenn es nicht Realität ist?
Die Tür wurde wieder geöffnet. Diesmal kam Simpson selbst herausgeschossen und hüpfte über den Flur, ohne ihn auch nur zu grüßen. Weniger als eine Minute später kam sie zurück.
»Tut mir leid, dass ich Sie warten lasse, John. Ich brauche nicht mehr lange.«
Sie wartete nicht auf seine Antwort. Er brachte keine über die Lippen, weil er zu sehr damit beschäftigt war, sich Sorgen zu machen, weil sie seinen Vornamen benutzt hatte.
Das Bild häuslicher und politischer Perfektion ist derart überzeugend, dass sogar »das Rassenproblem«, die eine Sache, die nach Mutmaßung einiger der vorsintflutlicheren politischen Kommentatoren ihren Blitzkrieg durch das Establishment aufhalten könnte, vollkommen ausgeschaltet worden ist. In einer kürzlich durch pressyourbutton.co.uk für die Zeitschrift Political Stud durchgeführten Meinungsumfrage registrierten zweiundvierzig Prozent der Teilnehmer nicht einmal, dass sie Schwarze sind. Wie Edgar selbst es jüngst formulierte: »Ich bin nicht schwarz, ich bin privilegiert .«
Carlyle spürte ein vertrautes Vibrieren an seiner Brust und zog sein Telefon heraus. Als er sah, dass es Joe war, drückte er auf den Empfangsknopf.
»Wie sieht es aus?«
»Es gibt nicht viel zu berichten, Chef«, erwiderte Joe. Nach den Geräuschen im Hintergrund zu schließen, war er entweder bereits nach Hause gegangen oder schaute sich den Zeichentrickkanal im Büro an. »Hast du mit Simpson gesprochen?«
»Ich warte noch darauf. Irgendwas Neues in den Medien?«
»Nein, alles hat sich beruhigt.«
»Gut. Ich werde dich direkt nach dem Treffen anrufen.«
»Okay.«
»Grüß Anita und die Kinder von mir.« Carlyle beendete das Gespräch und steckte das Telefon wieder in die Tasche. Du Glückspilz, dachte er. Ich wünschte, ich wäre auch schon zu Hause.
Natürlich hat keiner der beiden Brüder je in der wirklichen Welt gearbeitet, sondern sie sind beide nahtlos von Cambridge auf einen sicheren
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