Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
diesem einsamen, unwirtlichen Ort Reichtümer zu finden? Es sah ganz danach aus: Nachdem Turdi Master Stein in den Dünen herumgeführt hatte, wurde der Befehl ausgegeben, die Kamele und Packesel zu entladen und die Zelte zu errichten. Den Rest des Tages verbrachten Dulcan und die anderen Männer damit, ihre Kleidung zu flicken und sich mit ihrem Arbeitsplatz für die nächsten Wochen vertraut zu machen. Einige Männer hatten sogar ihre anfängliche Abneigung gegen Yolchi Beg überwunden und spielten mit dem in einen Pelzmantel gehüllten Hund. Mit Sonnenuntergang legten sich alle schlafen. Die Männer waren überaus erschöpft.
Bevor Dulcan die Augen zufielen, sah er noch, dass aus dem Zelt des Engländers ein Lichtstreifen fiel. Wie immer ging Master Stein als Letzter zu Bett.
* * *
Dulcan blickte mit Abscheu auf die Wand, die er gerade freigelegt hatte. Bilder von heidnischen Götzen waren zum Vorschein gekommen, doch außer diesen Abbildungen und einer rotbemalten Statue, deren obere Hälfte von Sand und Wind zerstört worden war, hatte ihr zweiter Grabungstag nichts zutage gefördert. Trotzdem war Master Stein zufrieden: Er ließ eines der Wandbilder ablösen und verpacken, zeichnete die Figuren und vermaß den freigelegten kleinen Tempel.
Sie verbrachten die Tage mit mühsamem Schaufeln, aber der Wüstensand barg weder Gold noch Juwelen, sondern Buddhafiguren, Tonscherben und ähnlich langweilige Dinge. Dulcan fragte sich gerade zum hundertsten Mal, warum Master Stein die Suche nicht abbrach, als sein Arbeitgeber am Rand der Grube erschien.
»Männer!«, rief er. »Wer das erste Manuskript findet, erhält eine Belohnung in Silber!«
Die Ankündigung wurde mit Jubel aufgenommen.
»Was ist ein Manuskript?«, fragte einer der Ausgräber flüsternd.
»Dummkopf! Ein Buch natürlich«, raunte der Angesprochene, bevor er mit neu entfachtem Eifer weiterschaufelte.
Wenig später schwenkte Niaz, der jüngste der Arbeiter und fast noch ein Kind, triumphierend ein beschriebenes Stück Papier über seinem Kopf. Sofort eilte Stein zu ihm und untersuchte den Fund, bevor er Niaz das Silber gab.
Die Begebenheit machte Dulcan nachdenklich, und Islam Akhuns Werkstatt kam ihm in den Sinn. Islam Akhun stellte Bücher und Schriftrollen her. Dann hielt er sie übers Feuer, beschmierte sie mit Dreck und verkaufte sie für viel Geld an den Engländer in Kashgar. Dulcan hatte nie verstanden, warum der Engländer Geld für diesen Schund ausgab, aber jetzt wurde ihm einiges klar: Islam Akhun fälschte alte Bücher und betrog die ausländischen Teufel! Stein Beg suchte nach Büchern, die wirklich alt waren. Und er war bereit, dafür zu bezahlen.
Während der verbleibenden Arbeitsstunden ließ Dulcan ein Gedanke nicht mehr los, und als er über seinem Abendessen saß, hatte er sich einen Plan zurechtgelegt: Er würde auf eigene Faust in einer der abgelegeneren Ruinen graben. Wenn er Glück hatte und nicht nur eine einzelne Seite wie Niaz, sondern gleich ein ganzes Buch fand, würde Stein Beg ihm nicht nur Silber, sondern vielleicht auch Gold als Belohnung geben.
Früh am nächsten Morgen täuschte Dulcan Magenkrämpfe vor. Einer der Arbeiter brachte ihm ein Stück Brot und Wasser zu seinem Lager, bevor er sich den anderen anschloss, die schon auf dem Weg zu der Ausgrabungsstelle waren.
Kaum waren die Männer fort, kroch Dulcan aus dem Zelt und sah sich misstrauisch um. Nach der morgendlichen Unruhe, wenn alle durcheinanderriefen, Teller klapperten, Zeltplanen raschelten und die Füße der Männer über den Sand scharrten, war die Stille in dem Lager unheimlich. Kein Mensch war zu sehen. Dulcan stopfte das Brot in einen Beutel, ergriff seine Hacke und blickte zum Himmel, um sich zu orientieren. Dann zog er den Gürtel seines Mantels fest um sich und schlich in nordöstlicher Richtung davon. Von Turdi wusste er, dass dort noch mehr Häuser waren; Master Stein wollte sie nächste oder übernächste Woche ausgraben.
Um nicht entdeckt zu werden, hielt Dulcan sich in den Dünentälern, und wenn er doch eine Düne überqueren musste, duckte er sich tief und kroch auf dem Bauch über den Kamm. Nach einer halbstündigen Wanderung stand er vor einigen aufrecht aus dem Sand ragenden Holzstämmen. Eine Sanddüne hatte die Überreste des Gebäudes zur Hälfte verschluckt, aber Dulcan beschloss trotzdem, an dieser abgelegenen und versteckten Stelle zu graben. Turdi hatte ihm erklärt, dass die Balken immer zu einem Kloster oder einem Haus
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