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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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betrat. Horden von jungen Männern stürzten auf sie zu und versuchten, sie in eine der vielen zu Pensionen umgewandelten Wohnungen zu locken, die in den heruntergekommenen Hochhausblocks untergebracht waren. In Momenten wie diesen wünschte sie sich, über mehr Geld zu verfügen und nicht auf die Absteigen in der Nathan Road angewiesen zu sein. Es wäre schön, einfach in ein schickes Hotel zu gehen und eine Kreditkarte über den Tresen schieben zu können. Marion seufzte: Statt achtzig wäre sie dann allerdings satte acht hundert Hongkong-Dollar los, das Budget für ganze fünf Tage.
    Sie folgte dem Inder tiefer in das düstere Gebäude hinein. Mindestens zweihundert Menschen schoben sich durch die Lobby. Afrikaner in eleganten Anzügen und blankgeputzten Schuhen standen in kleinen Gruppen herum und versperrten die Gänge, während sich ihre Frauen arrogant den Weg durch die Menge aus Pakistanis, Indern und Chinesen bahnten. Marion bewunderte das farbenfrohe afrikanische Gewand, das sich über dem ausladenden Hinterteil der Afrikanerin vor ihr spannte. Mit dem dazu passenden Turban auf dem Kopf wirkte die Frau sehr exotisch. Ein paar ältere europäische Touristen standen an den Schaltern der Geldwechselstuben und blickten nervös über ihre Schultern, bevor sie das Pandämonium mit frisch gefüllten Portemonnaies wieder verließen, ihre Hongkong-Reise um eine verstörende Erfahrung reicher. Die Chungking Mansions sind eine Welt für sich, dachte Marion. Nein, berichtigte sie sich, nicht eine Welt. Die ganze Welt hat sich hier versammelt.
    Vor dem Fahrstuhl von Block C reihten sich Marion und ihr Führer in eine lange Warteschlange ein. Es passten höchstens sechs Personen in die Kabine, aber selbstverständlich versuchten sich regelmäßig mehr Menschen hineinzudrängeln. Der Alarm, der ansprang, wenn der Fahrstuhl überladen war, lieferte die Hintergrundmusik für den alltäglichen Irrsinn in dem riesigen Gebäudekomplex der Chungking Mansions. Endlich waren sie an der Reihe. Ein bezopftes und bebrilltes chinesisches Mädchen in Schuluniform presste sich schüchtern in die Fahrstuhlecke, um nicht mit dem Bauch eines Pakistanis zu kollidieren. Marion, selbst zwischen zwei riesigen Afrikanern eingeklemmt, zwinkerte der Kleinen aufmunternd zu. Sie war erstaunt, dass es noch reguläre Mieter in diesen Häusern gab.
    Ächzend begann der Fahrstuhl seine lange Reise nach oben. Im dritten Stock stieg der dicke Pakistani aus und stieß die gegenüberliegende Tür auf, über der ein großes Schild prangte: Pakistanisches Restaurant, halal. Im fünften Stock quetschten sich zwei korpulente Inderinnen in farbenprächtigen Saris in die Kabine und lösten prompt den Alarm aus. Niemand störte sich daran. Das kleine Mädchen und die Afrikaner verließen den Fahrstuhl im elften Stock und gingen in entgegengesetzte Richtungen davon.
    Im sechzehnten Stock war die Reise zu Ende. Marion hob den von Susanne geliehenen Koffer vom Boden und folgte ihrem Führer durch düstere Gänge voller Unrat bis in das Nottreppenhaus. Aus den Augenwinkeln sah sie eine Kakerlake blitzschnell zu einem Riss in der Wand huschen. Es stank nach verwesendem Abfall und Urin. Auf eine der klebrigen Wände hatte jemand mit roter Farbe eine mehrsprachige Mitteilung gesprüht, die das Entsorgen von Müll und das Urinieren in den Fluren der Chungking Mansions unter drakonische Strafen stellte; gez. Die Hausverwaltung. Irgendwo im Labyrinth der Flure, Treppen und Zwischentüren eine gelb gestrichene Tür: das Hotel.
    Das Bett war hundertzehn Zentimeter breit, das Zimmer hundertelf. Marion konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie man das Bett durch die Tür gezwängt hatte. Waren die Wände darum herumgebaut worden? Ein kleiner Tisch stand vor dem Bett, und unter der Decke war ein zusätzlich mit einer dicken Kette gesicherter Fernseher angeschraubt. Der Besitzer des »Hongkong View« schien seinen Gästen nicht über den Weg zu trauen. Ein winziges Außenfenster, durch das ein Streifen Tageslicht drang, gab den Ausschlag. Marion beschloss hierzubleiben. Außerdem hatte der junge Inder nicht gelogen: Das Zimmer war sauber. Mehr konnte sie nicht verlangen. Es war schließlich nur für eine Nacht.
    Nachdem sie geduscht und frische Sachen angezogen hatte, verließ sie die Chungking Mansions und ging in das Büro des China International Travel Service auf der gegenüberliegenden Straßenseite, um ein Expressvisum für China zu beantragen. Die Angestellten

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