Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Zelt des Ausländers wartenden Männer verstummten, als Dulcan den Hof betrat. Er grüßte mit einem Kopfnicken, stellte sich abseits und musterte sie verstohlen. Die Männer waren Bauern wie er, jung und kräftig, aber als er ihren Gesprächen lauschte, wurde ihm bewusst, dass sie nicht freiwillig hier waren. Ihre Dorfältesten hatten sie gezwungen, dem Fremden in die Wüste zu folgen, und sie unterhielten sich im Flüsterton über die dort lauernden Dschinns und Dämonen. Dulcan lächelte. Ein Freund seines Vaters, Turdi Khwoja, hatte ihm erzählt, dass der Engländer Arbeiter für Ausgrabungen in der Wüste suchte. Turdi selbst würde die Expedition als Führer begleiten. Dulcan kannte Turdis Erzählungen über seine Wüstenabenteuer seit seinen Kindertagen. Turdis Reisen waren voller Gefahren gewesen, aber Dämonen hatte der alte Schatzsucher nie getroffen.
Der Ausländer kam aus seinem Zelt, begleitet von einem kleinen Hund, der ausgelassen auf die Männer zusprang. Einige wichen erschrocken zurück, damit das unreine Tier sie nicht berührte.
»Yolchi Beg, geh sofort zurück ins Zelt«, befahl der Fremde, und der Hund gehorchte.
Dulcan betrachtete den Mann mit Interesse. Sein leiser Befehl hatte nicht nur den Hund mit dem seltsamen Namen »Herr Reisender« eingeschüchtert, sondern auch die versammelten Bauern: Mit offenen Mündern starrten sie den etwa vierzigjährigen Engländer an. Er war trotz seiner kleinen Statur ein Respekt einflößender Mann.
Stein Beg rief nacheinander die Namen der Männer auf und entschied, wer an der Expedition teilnehmen sollte. Der Hof leerte sich schnell, bis nur noch Dulcan übrig war; sein Name stand nicht auf der Liste des Mannes. Dulcan straffte sich. Wenn er die Anstellung bekommen wollte, musste er einen guten Eindruck machen. Er trat vor den Fremden.
» Master Stein?«, fragte er. Die höfliche englische Anrede hatte er von Turdi gelernt.
Marc Aurel Stein hob fragend die Augenbrauen. »Was willst du?«
»Ich möchte für Euch arbeiten.«
»Hat einer der Dorfvorsteher dich geschickt?«
»Nein, es war meine eigene Entscheidung. Ich komme aus Khotan. Turdi Khwoja, Euer Führer, ist ein Freund meines Vaters.«
Steins Augen weiteten sich erstaunt bei der Erwähnung des Namens. »Er hat nie von dir gesprochen«, sagte er.
»Ich habe mich erst sehr spät entschieden. Ich werde im Frühling heiraten und brauche das Geld.«
»Ein guter Grund. Wie ist dein Name?«
»Dulcan Siddiq.«
»Weißt du, warum ich diese Expedition unternehme?«
»Ihr sucht in den Geisterstädten nach alten Gegenständen«, sagte Dulcan. »Ich habe auch schon gegraben: Mein Dorf liegt in der Nähe des alten Khotan. Manchmal finden die Leute dort Gold«, fügte er hinzu.
»Interessant«, sagte Stein. »Kennst du den Winter in der Wüste?«
Dulcan jubelte innerlich. Stein Beg wollte ihn mitnehmen. »Ich bin gut ausgerüstet«, sagte er mit Überzeugung und wies auf seine Kleidung: hohe Lederstiefel, ein wadenlanger, pelzgefütterter Mantel, eine gesteppte Hose, eine große Fellmütze.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Engländers. »Dann mach dich reisefertig. Wir brechen morgen auf.«
* * *
Obwohl Dulcan sein Leben in einer Wüstenoase verbracht hatte, war er nicht auf die Anstrengungen des Marsches über die Sanddünen vorbereitet, die sich bis zum nördlichen Horizont erstreckten. Master Stein hatte ihm nicht erlaubt, sein Pony mitzunehmen, und so war er wie alle anderen gezwungen, zu Fuß durch den feinen Sand zu stapfen. Selbst der Engländer hatte auf sein Reittier verzichtet und kämpfte sich verbissen über die niedrigen Dünen. Am Abend des dritten Tages konnte Dulcan jeden einzelnen Muskel in seinen Beinen spüren. Er hatte kaum genug Kraft, sich um die Vorbereitungen für das Lager zu kümmern.
Trotzdem war es tagsüber vergleichsweise angenehm im Verhältnis zu der beißenden Kälte, die mit dem Einbruch der Nacht kam und den Männern den Atem in den Bärten gefrieren ließ. Der Stolz verbot es ihnen zu klagen, aber insgeheim sehnten sich die Männer zurück in ihre warmen Häuser. Voller Bewunderung sprachen sie über den kleinen Ausländer, dem die Strapazen nichts auszumachen schienen.
Sechs Tage nach ihrem Aufbruch aus der Tawakkel-Oase erreichte die Expedition ihr Ziel. Dulcan sah sich enttäuscht um: Statt der erwarteten Stadt sah er nichts als Sand, aus dem hier und da verwitterte Holzstämme oder ein Mauerrest ragten. Hoffte Master Stein tatsächlich, an
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