Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
sie.
Für eine Weile blieb es in der Leitung stumm.
»Wie geht es dir?«, fragte Yandao schließlich.
»Nicht besonders. Der Tag war furchtbar.«
»Feiern deine Freunde denn nicht mit dir?«
»Ich habe alles abgeblasen.«
»Was ist los? Oder geht es mich nichts an?«
»Im Gegenteil.« Marion machte eine Pause. Es war so weit, sie musste die Karten auf den Tisch legen. Sie holte tief Luft. »Am Mittwoch komme ich nach Xi’an. Ich hätte dich später in der Nacht, wenn es bei euch Morgen ist, angerufen und es dir gesagt.«
»Du fliegst wieder nach China? Warum?«
»Ich will dir einiges erzählen wegen des ermordeten Uighuren. Aber nicht am Telefon. Kannst du dort sein? Ich würde mich sicherer fühlen, wenn du in Xi’an wärst.«
Li Yandao traute seinen Ohren nicht. Marion kam selbst, um ihm das entscheidende Puzzleteil des Rätsels zu präsentieren? Er unterdrückte den Impuls, sie zu fragen, worum es ging. Er hatte schließlich einige Kostproben ihrer Sturheit erlebt: Wenn sie sich entschieden hatte, ihm ihr Geheimnis erst in China anzuvertrauen, würde er es ihr jetzt bestimmt nicht entlocken können. Nun, er konnte warten. Auf ein paar Tage kam es nicht mehr an.
»Ich werde dich abholen«, sagte er entschlossen. Ihm würde schon eine Erklärung für seine Vorgesetzten einfallen. »Wann landet dein Flugzeug?«
»Um zwanzig nach drei am Nachmittag. Darf ich dich um einen weiteren Gefallen bitten? Ich muss den Direktor des Historischen Museums in Xi’an treffen. Seinen Namen habe ich vergessen. Kannst du Kontakt mit ihm aufnehmen? Sag ihm, ich möchte ihm einen sehr interessanten Fund geben.«
Historisches Museum? Li Yandao hätte beinahe laut gejubelt. Der Mord hing tatsächlich mit dem Antiquitätenschmuggel zusammen.
»Yandao?«, sagte Marion zaghaft. »Ich habe ziemlichen Mist gebaut. Hör dir alles an, wenn ich da bin, und versuche, mich zu verstehen. Ich will alles wieder geradebiegen. Und bitte, sprich mit niemandem darüber.«
»Hm … das kommt natürlich darauf an, wie schlimm der Mist tatsächlich ist.« Li Yandao hielt inne. Er hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was Ma Li Huo ihm beichten würde, lediglich die Details fehlten. Im Übrigen war sie nicht die Einzige, die Mist gebaut hatte: Er hatte sich einen Ermittlungsfehler nach dem anderen geleistet und ebenfalls kein Interesse daran, zu viel Staub aufzuwirbeln. Er räusperte sich: »Ich verspreche dir, den Mund zu halten, bis du mir alles erzählt hast, dann sehen wir weiter. In Ordnung?«
»In Ordnung«, sagte Marion.
»Ich habe von Anfang an geahnt, dass du mir in Kashgar nicht die Wahrheit gesagt hast.« Nach einer Pause fügte er leise hinzu: »Ein Polizist sollte sich besser nicht in eine Verdächtige verlieben. Das ist unprofessionell.«
Marion war sprachlos.
»Ich lege jetzt besser auf«, sagte Li Yandao. »Ich freue mich auf Mittwoch. Ich freue mich sehr. Zaijian, Feuerpferd.«
Es klickte in der Leitung.
Marion ließ den Hörer aus der Hand gleiten. Feuerpferd. Also war es kein Zufall.
Die Stadt unter dem Sand
Dezember 1900
E s war schon später Nachmittag, als Dulcan müde, hungrig und durchgefroren die ersten Felder der Tawakkel-Oase erreichte. Er sprang vom Pferd und führte es zu einem Bewässerungsgraben, damit es trinken konnte. Dankbar tätschelte er dem Tier über die Flanke. Er wertete es als ein gutes Omen, dass die alte Mähre den langen Weg von seinem Heimatdorf bis hierher in nur zwei Tagen bewältigt hatte.
Nachdem das Pferd seinen Durst gestillt hatte, nahm Dulcan es am Zügel und marschierte den breiten Weg nach Norden entlang, direkt in das Herz der Oase. Bald holte er einen alten Bauern ein, der auf einem Eselskarren in gemütlichem Tempo in dieselbe Richtung zockelte.
»Ich grüße dich, Großvater! Kannst du mir den Weg zum Haus des Dorfvorstehers erklären?«, fragte er, sobald er auf der Höhe des Karrens war.
Der Alte verengte die Augen. »Du bist nicht aus Tawakkel«, stellte er fest. »Willst du zu dem ausländischen Teufel, der sein Zelt im Hof des Begs aufgeschlagen hat?«
»Ich weiß nichts von Teufeln. Aber ja, ich will zu dem Engländer.«
»Was habt ihr nur alle mit den Fremden?«, murmelte der Alte. »Es ist besser, sich von ihnen fernzuhalten.«
»Wo lebt der Beg?« Dulcan verlor die Geduld.
Der Alte zeigte vage in nordöstliche Richtung.
Die Tage waren kurz, und bevor Dulcan das Haus des Begs erreicht hatte, war die Sonne hinter den hohen Pappeln versunken. Die vor dem
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