Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
um!«, heulte sie.
»Und wennschon«, raste Siddiq. »Geh weg.«
»Nein!«
Er trat seine Frau in die Seite. Sie rührte sich nicht von der Stelle.
»Nur zu. Dann kannst du mich auch töten«, stieß sie hervor.
Siddiq tobte. »Dann bräuchte ich mir wenigstens dein Gewimmer nicht mehr anzuhören!« Er stampfte aus der Stalltür. »Ich gehe aufs Feld. Heute Abend ist diese erbärmliche Missgeburt verschwunden.«
Yakub setzte sich auf und tastete sich vorsichtig ab. Ihm tat der ganze Körper weh, aber außer einer Schürfwunde und drei, vier Prellungen war er nicht verletzt. Das Kästchen war ebenfalls unbeschädigt. Sein Mund verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen. Endlich hatte er seinem Vater gezeigt, wie sehr er ihn verabscheute, und er hatte ihm sogar einige gute Schläge verpassen können. Das Pferd brachte ihm Glück. Dass er aus dem Haus flog, war ihm gleichgültig, früher oder später wäre es ohnehin passiert.
Er wandte sich an seine Mutter, die mit dem Rücken an die Stallwand gelehnt auf dem Boden saß und ins Leere blickte.
»Ich habe kein Geld.«
Sie sah ihn ausdruckslos an. Yakub kroch zu ihr hinüber und schüttelte sie.
»Du hast gehört, was der Alte gesagt hat: Ich muss weg. Aber ich habe kein Geld.«
Langsam kehrte sie in die Realität zurück. »Geld?«
»Du musst mir Geld geben, damit ich mir ein Zimmer nehmen kann.«
»Ich habe keins.« Sie schüttelte traurig den Kopf.
»Dann geh und hol mir deinen Schmuck. Du willst doch nicht, dass dein Sohn verhungert, oder?«
Es wirkte. Wie in Trance erhob sie sich und humpelte aus dem Stall. Kurz darauf kam sie mit einem Goldarmband und mehreren Ohrringen wieder.
»Ist das alles?«
Sie begann wieder zu schluchzen und warf sich ihm an die Brust.
»Ich werde dich nie wiedersehen …«
Er wand sich unwirsch aus ihrer Umarmung.
»Stimmt. Nie wieder«, sagte er schroff.
Ohne sich von seiner Mutter zu verabschieden, eilte Yakub aus dem Stall. Als er das Dorf hinter sich gelassen hatte, atmete er erlöst auf. Er war frei.
* * *
Vier Wochen später stand Yakub vor einem kleinen Telefonkiosk in Kashgar und spielte mit ein paar Münzen. Der Verkauf des Schmucks hatte nicht viel eingebracht, und obwohl er sehr preiswert bei einem Bekannten wohnte, war er schon wieder pleite. Er hatte Akhun mehrfach angerufen, seit er die Khotan-Oase verlassen hatte, aber immer nur zu hören bekommen, dass er sich gedulden müsse.
Zum Teufel mit der Geduld. Entweder wollten Akhuns Leute die Sachen haben, oder er würde sich auf eigene Faust nach einem Käufer umsehen. Die Herablassung, mit der Akhun ihn behandelte, rüttelte an seinem Stolz. Akhun hielt ihn für dumm, aber er würde ihm beweisen, dass er schlau war. Entschlossen betrat Yakub den Laden und setzte sich vor eines der Telefone.
Hakim Akhun meldete sich nach dem ersten Klingeln.
»Gute Nachrichten. Sie wollen kaufen«, sagte er.
»Wie viel?«, fragte Yakub atemlos.
»Fünftausend amerikanische Dollar. Abzüglich meiner zwanzig Prozent erhältst du viertausend Dollar.«
Viertausend Dollar? Das hörte sich nicht nach viel Geld an.
»Wie viel ist das in Yuan?«
»Ungefähr dreiunddreißigtausend Yuan.«
Yakub versuchte, seine Aufregung über diese unfassbare Summe zu verbergen, konnte aber nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte, als er weitersprach:
»Wohin soll ich das Kästchen bringen?«
»Ich komme nach Kashgar.«
»Wozu? Meinst du, ich kann nicht mit den Leuten sprechen?«
»Um dann mit meinem Anteil abzuhauen?«, fragte Akhun. »Vergiss es, mein Lieber. Die Leute verhandeln sowieso nicht mit dir. In drei Tagen bin ich in Kashgar. Sei um acht Uhr abends vor der Großen Moschee.«
Bevor Yakub protestieren konnte, hatte Akhun aufgelegt.
* * *
Yakub kaute nachdenklich auf einem Kugelschreiber herum. Vor ihm lag ein Stück Papier, auf das er mit großzügigem Schwung die Zahl 33000 gemalt hatte. Er hatte noch nie so viel Geld in den Händen gehalten, und er kannte, außer Akhun, auch keinen anderen Uighuren, der so reich war. Trotzdem war er nicht zufrieden. Das Geld würde lange reichen, aber nur, wenn er auf all den erträumten Luxus verzichtete. Selbst ein chinesisches Auto kostete mehr als dreiunddreißigtausend Yuan, und den glänzenden roten Volkswagen vergaß er besser gleich.
Er nahm eine zerknitterte uighurische Zeitung und strich sie glatt. Zum neunten oder zehnten Mal las er den Artikel, der die Zweifel in ihm gesät hatte: Er berichtete über eine Auktion für
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