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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Spielsteine lieferte den Rhythmus zu der üblichen Kakophonie aus Autohupen, Fahrradklingeln, Kindergeschrei und den lärmenden Maschinen aus einer der vielen Hinterhofmanufakturen. Es war offensichtlich, dass die Bewohner an dem wirtschaftlichen Aufschwung Chinas nicht teilhatten, aber Liu Xinrong gefiel die Gasse dennoch. Sie erinnerte ihn an seine Kindheit. Kein einziges der hässlichen, uniformen Apartmenthäuser, die sonst das Stadtbild beherrschten, störte den Frieden dieser kleinen Insel. Irgendwie war es den Bewohnern gelungen, den Modernisierungsplänen der Stadtverwaltung zu entkommen.
    Während Liu Xinrong die Tasche seines Fahrgastes aus dem Kofferraum hievte, nutzte er die Gelegenheit, seine Neugierde zu befriedigen. »Darf ich fragen, aus welchem Land Sie stammen?«
    »Sie dürfen nicht«, sagte der Mann brüsk und drückte dem Taxifahrer ein Bündel Scheine in die Hand. Dann verschwand er in der Fahrradwerkstatt.
    Beim Zählen der Scheine fiel Liu Xinrong eine unbekannte Banknote auf. Er hatte keinen Grund, sich zu beschweren, denn der schweigsame Fahrgast hatte ihm ein reichliches Trinkgeld gegeben. Vermutlich hatte er nicht bemerkt, dass ihm die fremde Note zwischen die Yuan-Scheine gerutscht war. Liu Xinrong sah sich den Schein genauer an: Es war usbekische Währung. Zufrieden schob er das Geld in seine Hosentasche. Der geheimnisvolle Fremde war also Usbeke.

    Der Schnurrbärtige grüßte einen jungen Chinesen, der stirnrunzelnd ein riesiges Loch in einem Fahrradmantel inspizierte, und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf. An der Wohnungstür hing ein Zettel. Xiao Lin und Zu’en würden erst gegen Abend nach Hause kommen. Die Tür war nicht abgeschlossen, und er betrat die kleine Wohnung, die nur aus einem Raum und einer winzigen Kammer bestand. Die öffentlichen Waschgelegenheiten und Toiletten befanden sich außerhalb des Hauses, am Ende der Gasse. Ein gleichzeitig als Bett benutztes altes Sofa nahm fast die Hälfte des größeren Raumes ein. Es war bedrückend eng, aber dank ein paar Eimer Farbe, hübscher Vorhänge und Kalenderbilder, die mit ihren palmengesäumten Stränden, sonnigen italienischen Plätzen und der Skyline von Manhattan den Traum von einem besseren Leben verkörperten, hatte Xiao Lin es geschafft, auch dieser Notunterkunft eine persönliche, gemütliche Atmosphäre einzuhauchen.
    Sie besaßen keinen Kühlschrank, aber da das Haus nicht beheizt werden konnte, war das in der Kammer aufbewahrte Bier kalt genug. Der Mann öffnete eine Flasche, stellte sich vor den Spiegel im Wohnzimmer und riss sich mit einem Ruck den Schnurrbart ab. Nachdem er auch die Perücke abgenommen und die farbigen Kontaktlinsen entfernt hatte, schnitt er seinem Spiegelbild eine Grimasse. Auf Nimmerwiedersehen, Dragan Ibrahimovic.
    Nikolai ließ sich auf das Sofa plumpsen und zog eine warme Decke über sich. Er schloss die Augen und dachte nach.
    Marion war also in Xi’an. Ihre raspelkurzen Haare und auch ihr Aufzug – Badeschlappen und unter der Winterjacke eine Schlafanzughose – waren irritierend, aber er hatte sie trotzdem erkannt. Was wollte sie hier? Trug sie das Jadepferd bei sich? Höchstwahrscheinlich. Der Kommissar aus Kashgar, dem Nikolai vor vielen Jahren in Xi’an begegnet war, hatte auf sie gewartet, und die Begrüßung der beiden war ausgesprochen herzlich gewesen. Warum? Nikolai massierte sich die Stirn. Er verstand die ganze Geschichte nicht mehr. Marion hatte alles darangesetzt, die Pferdefigur zu behalten, und nun steckte sie ihren Kopf direkt in den Rachen des Löwen. War sie so naiv zu glauben, dass sie ihrem Polizistenfreund die Figur geben konnte und ungeschoren davonkam? Andererseits hatte sich Marion bisher alles andere als naiv erwiesen und der Polizei einiges zu bieten, um sich Straffreiheit zu sichern: ihn. Wahrscheinlich spekulierte sie auf einen Deal – und wenn sie ihnen die Geschichte geschickt verpackt verkaufte, würde sie sogar in einem guten Licht dastehen. Seiner Einschätzung nach waren die Chinesen nicht sonderlich erpicht darauf, Ausländer einzubuchten, es gab nur internationale Verwicklungen. Eine Regel, die sie auf ihn selbst allerdings nicht anwenden würden, resümierte Nikolai. Dafür hatte er ihnen zu viel gestohlen.
    Und was wusste Zu’en? Hatte sein Anruf etwas mit Marion zu tun? Warum hatte er darauf bestanden, dass Nikolai nach China zurückkehrte, ohne dem Professor Bescheid zu sagen? Er kannte Zu’en seit Jahren und hatte ihn noch nie so

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