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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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ausgezeichnet war.
    Als sie, nachdem sie aufgegessen hatte, von ihrem Platz aus den Trubel um sie herum beobachtete, ging ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf. Der Hammel war auch eines der Symbole für die Verschiedenheit der Uighuren, den angestammten Bewohnern Xinjiangs, und den Chinesen, die herkamen, um ihren Anspruch auf die so weit von Beijing entfernte Westprovinz zu demonstrieren.
    Die Chinesen mochten keinen Hammel und hielten sich von den Restaurants der muslimischen Uighuren fern, so wie diese wiederum das aus dem Osten importierte Schweinefleisch mieden. Marion hatte den Eindruck, als gingen sich die Bevölkerungsgruppen ständig aus dem Weg. In den zwei Stunden, die sie nun hier war, hatte sie kein einziges chinesisches Gesicht erblickt, der Markt war eine rein uighurische Angelegenheit. Eigentlich waren die Essstäbchen, mit denen Marion gerade müßig herumspielte, das einzig Chinesische auf dem ganzen Areal.

    Etwas später fand sich Marion in einer Menschenansammlung eingekeilt wieder. Gebannt verfolgte sie, wie ein kapitaler Bulle auf einen Lastwagen verladen wurde. Zwei Männer standen auf der Ladefläche und zerrten an einem um die Hörner des Bullen geschlungenen Seil. Das rasende Tier schleuderte seinen Kopf von einer Seite zur anderen und brachte einen der Männer zu Fall. Die Augen des Bullen verdrehten sich und zeigten das blutunterlaufene Weiße. Schaum stand ihm vorm Maul. Durch die anfeuernden Rufe der Umstehenden wurde der Bulle noch wilder. Endlich gelang es den Männern, eines der Vorderbeine des Tieres auf die Ladefläche zu zwingen. Der überwältigte Bulle zog sich das letzte Stück selbst hinauf und blieb mit zitternden Muskeln stehen. Die Männer banden ihn mit geübten Handgriffen an den Aufbau und sprangen dann schnell vom Wagen.
    Marion musste sich zurückhalten, um nicht zu applaudieren. Sie wurde ohnehin von allen Seiten abschätzend gemustert und wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Als sich die Menge der Schaulustigen auflöste, blickte sie gedankenverloren einem sehr großen, kräftigen Mann nach, der nicht so aussah, als würde er Vieh einkaufen wollen. Sein Anzug war neu, wenn auch eingestaubt, und dazu trug er einen orangefarbenen Schal, der zwischen all den farblos gekleideten Männern umso auffälliger war. Seine welligen Haare reichten ihm bis in den Nacken und bedeckten die Ohren – eine ungewöhnliche Frisur für einen Uighuren.
    Die betäubende Geruchsmischung aus dem Mist des Viehs und altem Bratfett ließ Marion plötzlich übel werden. Sie brauchte dringend frische Luft. Zielstrebig drängelte sie sich über das mit Menschen und Tieren verstopfte Feld auf das Ausgangstor zu.
    Der Viehmarkt war nur ein Teil des Sonntagsmarkts – ein zweiter, weitaus größerer Markt befand sich einige Kilometer entfernt mitten in Kashgar. Marion legte die Entfernung auf einem Eselskarren zurück. In gemächlichem Tempo zockelte das archaische Gefährt über die neue vierspurige Straße in die Stadt. Die Beine der Fahrgäste baumelten über den Rand der Holzplattform, und Marion zuckte mehrmals erschrocken zurück, wenn ein Lastwagen gefährlich nahe an ihnen vorbeidonnerte.
    Marions einheimische Begleiterinnen diskutierten in ihrer Sprache unverhohlen ihre Haare und Kleidung. Eine der Frauen wies auf Marions schlammfarbene Hose und schüttelte abfällig den Kopf. Dann strich sie über ihren eigenen Rock, dessen glänzender Stoff in einem kunstvollen Muster in leuchtendem Rot, Grün, Gelb und Schwarz auf weißem Grund gewebt war. Marion hatte die wortlose Kommunikation verstanden: Nach Ansicht der Frau sollte sie sich hübscher anziehen. Unterdessen hatte Marions Nachbarin ihr Kopftuch gelöst und band es Marion um die Haare.
    Mit dem Ergebnis zufrieden strahlte sie in die Runde und entblößte dabei ihren Zahnersatz: Goldkronen, Metall und Porzellan in abwechslungsreicher Folge.
    Die Frauen gefielen Marion, und sie nutzte die Gelegenheit, sie aus der Nähe zu betrachten. Sie hätten kaum unterschiedlicher aussehen können und verrieten die bewegte Vergangenheit dieses Teils der Welt. Alle Frauen auf dem Karren gehörten den muslimischen Minderheiten Xinjiangs an, aber Marion hätte nicht sagen können, ob sie nun Uighurinnen, Tadschikinnen, Kasachinnen oder Kirgisinnen waren – in der weiteren Umgebung Kashgars lebten Menschen aus ganz unterschiedlichen Volksgruppen. Die Bäuerin neben ihr hatte ein fleischiges Gesicht mit großen, dunkelbraunen Augen und einem

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