Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Blick arrogant über die tiefschwarzen Haarschöpfe der Gäste gleiten, bis er einen blonden Mann entdeckte. Der Blonde hatte ihn schon vorher gesehen. Seine dunkelblauen Augen bohrten sich in seine. Der Professor zuckte leicht zusammen, eine winzige Bewegung, aber der Blonde hatte sie bemerkt. Natürlich hatte er sie bemerkt. Nikolai entging nichts. Deshalb war er so gut. Der Professor gab sich einen Ruck und drängte sich zwischen den eng stehenden Stühlen hindurch. Unter seinen teuren Schuhen knirschten Hühnerknöchelchen und Schalen von Sonnenblumenkernen, mit denen der Boden übersät war. Jedes Mal, wenn er einen fremden Körper berührte, rümpfte er angeekelt die Nase. Er wollte mit dieser Welt, diesen Menschen, diesem Proletariat, nichts zu tun haben. Nikolai suchte sich für ihre seltenen Treffen grundsätzlich Restaurants wie dieses aus, und der Professor hegte schon lange den Verdacht, dass er es nur tat, um ihn zu demütigen. Sie waren Partner, sehr erfolgreiche Partner, aber Freunde waren sie nicht. Eine Zweckgemeinschaft, in der er, der Professor, die Oberhand haben sollte. Doch er wurde das Gefühl nicht los, dass der Blonde ihn längst durchschaut hatte, analysiert und seziert, während er selbst an der freundlichen Miene, dem offenen Blick des anderen scheiterte. Wie eine Welle an einem glattgeschliffenen Stein gebrochen wurde und kraftlos verebbte, liefen alle Bemühungen des Professors, hinter die blasse Stirn seines Partners sehen zu können, ins Leere.
Der Tisch des Blonden stand ganz hinten, in unmittelbarer Nähe des Durchgangs, der in die ohne Zweifel schmutzstarrende Küche führte. Ein möglicher Fluchtweg. Nikolai wies mit einer einladenden Geste auf den freien Stuhl. Der Professor ergriff eine kleine Plastiktüte, die dort für ihn bereitlag. Er wog sie kurz in der Hand, dann ließ er sie schnell und, wie er hoffte, unauffällig in seine Manteltasche gleiten.
»Danke. Du bekommst deinen Anteil, sobald ich verkauft habe.«
»Gut. Aber setz dich doch.«
Der Professor behielt seinen Mantel an und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Nikolai musterte ihn belustigt.
»Du solltest das nächste Mal deine Kleidung sorgfältiger auswählen«, sagte er nach einer Pause.
»Wieso? Was ist daran auszusetzen?«
»Zu teuer.«
Der Professor sah sich in dem Raum um. Billige, schreiend bunte Acrylpullover, ausgeblichene Jacken, sogar eine Mao-Kappe.
»Du verlangst doch nicht im Ernst von mir, dass ich so etwas anziehe?«
»Warum nicht?« Wieder dieses Blitzen in den Augen des Blonden, der selbst eine äußerst geschmacklose Windjacke trug.
»Ist alles glattgelaufen?«, fragte der Professor, um das Thema zu wechseln.
»So glatt wie möglich. Ich hatte ein paar Probleme, die sich allerdings leicht lösen ließen.«
Der Professor schwieg. Er wollte gar nicht so genau über Nikolais Probleme und deren Lösungen Bescheid wissen. Er hatte die Ware, das zählte.
»Hast du Hunger?«, fragte der Blonde. Ohne eine Antwort abzuwarten, rief er die Kellnerin an den Tisch und bestellte in ausgezeichnetem Chinesisch. Als das Mädchen gegangen war, beugte sich der Professor über den Tisch.
»In Kashgar gibt es Schwierigkeiten«, sagte er mit gesenkter Stimme.
Nikolai sah ihn abwartend an, sagte aber nichts.
»Turdi hat den Lieferanten getötet.«
»Akhun?« Nikolais Stimme verriet nicht, wie er die Neuigkeit auffasste.
»Nein, den Bauernjungen, der es gefunden hatte.«
»Das ist schlimm.«
»Und es kommt schlimmer.« Im Flüsterton redete der Professor minutenlang auf sein Gegenüber ein. Nikolais Miene verdüsterte sich.
»Ihr seid sicher, dass diese Touristin das Jadepferd hat?«, fragte er.
»Nicht hundertprozentig, aber alles spricht dafür. Wir wissen, dass die Polizei es nicht hat, und die Frau verhält sich seit dem Einbruch übervorsichtig.«
»Kriegt diese halbe Portion Wang die Sache in den Griff?«
»Er ist ein guter Mann.«
»Kriegt er die Sache in den Griff?«
Der Professor wand sich. »Ja«, sagte er schließlich.
»Gut. Wir müssen die Figur um jeden Preis bekommen.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen«, bemerkte der Professor säuerlich.
In diesem Moment kam das Essen.
* * *
Marion saß erschöpft auf einem Schemel vor einem Obststand und trank einen frisch gepressten Granatapfelsaft. Die Straße vor dem Markt war ebenso belebt wie das Marktgelände, aber sie hatte keinen Blick mehr dafür. Ihr Kopf war bis zum Platzen mit den Eindrücken der letzten Stunden gefüllt, und
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