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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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sie hatte nur noch den Wunsch, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen und die Augen zu schließen. Sie trank aus und stellte das Glas auf den Stand. Mit der anderen Hand wühlte sie in ihrer Umhängetasche zwischen der üblichen Sammlung aus Reiseführer, Stadtplan, Toilettenpapier, Bonbons und allerlei Überbleibseln der letzten Tage nach dem Portemonnaie, das sie jeden Morgen mit etwas Geld für die Tagesausgaben füllte, damit sie nicht wegen jeder Kleinigkeit ihren Bauchbeutel unter dem Hosenbund hervornesteln musste. Plötzlich stutzte sie. Ihre tastenden Finger hatten zwar nicht das Portemonnaie, dafür aber eine Öffnung in der Tasche gefunden, die dort nicht hingehörte. Während Marion auf ihre Finger starrte, die aus einem glatten Schnitt in der Tasche ins Freie ragten, dämmerte es ihr langsam: Ein Taschendieb hatte sie bestohlen! Der Verlust des Portemonnaies war zu verschmerzen, aber es war unheimlich, dass sie gar nichts bemerkt hatte.
    Das Kästchen! Sie fuhr mit der Hand zur Brust und tastete die Vorderseite ihrer Jacke ab. Erleichtert fühlte sie den eckigen Gegenstand. Nach dem Einbruch hatte sie es in der Innentasche ihrer Jacke verstaut und ein Pflaster über den Reißverschluss geklebt.
    Marion untersuchte trotzdem ihre Jacke. Die mit Klettverschlüssen versehene Seitentasche, in der sie immer ihr Notizbuch griffbereit hatte, war ebenfalls aufgeschlitzt worden. Das kleine Buch fehlte. Sie ließ hilflos die Arme sinken: Adressen, Aufzeichnungen, Skizzen, alles weg. Was wollte der Dieb damit? Hatte er es womöglich mitgenommen, weil er dachte, es sei das Kästchen?
    Marion merkte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Ein Taschendieb hatte das Gedränge genutzt, einer, der wusste, dass bei Touristen mehr zu holen ist als bei den Einheimischen. Der Diebstahl hatte nichts mit ihrem Fund zu tun. Gar nichts. Außerdem war das Notizbuch viel kleiner als das Kästchen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie zerrte ihren Bauchbeutel hervor, drückte dem verdutzten Saftverkäufer einen Zwanzig-Yuan-Schein in die Hand und lief zum nächsten Taxi.
    Die Einkaufszentren, Hotels und Bürohäuser der Renmin Xilu sausten am Autofenster vorbei. Die langweiligen Häuser wirkten abweisend und fehl am Platz, wie Attrappen, herbeigeschafft aus irgendeiner chinesischen Stadt weit, weit im Osten. Es ist alles nur Fassade, dachte Marion, eine dünne, über das uralte Kashgar gekleisterte chinesische Tapete. Wenn ich in eine der Seitenstraßen einbiege, stehe ich im Mittelalter, mit Teehäusern, windschiefen Moscheen, archaischen Werkstätten und verschleierten Frauen. Welche Geheimnisse mochten sich unter der harmlosen Oberfläche dieser Stadt verbergen? Sie schauderte. Tödliche Geheimnisse?
    * * *
    Li Yandao meldete sich erst drei Tage später wieder bei Marion und schlug vor, am Nachmittag gemeinsam das Grab der Duftenden Konkubine zu besuchen, einer Volksheldin der Uighuren. Marion war erstaunt, dass der chinesische Kommissar dieses Ausflugsziel vorschlug, stellte aber keine Fragen. Sie hoffte, endlich von ihm seine Zustimmung zur Weiterreise zu bekommen, denn sie geriet allmählich in Zeitnot. Noch waren die Herbsttage meist sonnig und relativ angenehm, aber abends und nachts war es schon empfindlich kalt. Mittlerweile schlief sie mit Socken und für den unerbittlichen Winter in Xinjiang war sie nicht gerüstet. Wenn sie auf dem geplanten Weg nach Xi’an reisen und sich die Seidenstraßenoasen Khotan und Turfan in Ruhe ansehen wollte, bevor das Thermometer unter die Erträglichkeitsgrenze sank, musste sie ihre Tour bald fortsetzen.

    Als Marion aus dem Haupteingang des Hotels trat, winkte Li Yandao aus dem Fenster eines dunkelroten VW Santana zu ihr herüber.
    »Das ist ja ein richtiger Bonzenwagen. Mir war nicht klar, dass Sie so ein hohes Tier sind«, sagte sie, als sie auf den Beifahrersitz rutschte.
    »Neun Jahre alt, die linke Hintertür klemmt, und seit dem letzten Unfall macht er seltsame Geräusche. Der Außenspiegel fehlt, und über den Zustand der Bremsen möchten Sie lieber nichts wissen. Mein Dienstwagen, vom Chef geerbt«, erwiderte Li Yandao trocken.
    Er ordnete sich mit quietschendem Keilriemen in die Unordnung des Verkehrskreisels vor dem Hotel ein und verfehlte nur um Haaresbreite einen Fahrradfahrer. Besorgt drehte Marion sich zum Rückfenster um, weil sie sehen wollte, ob er gestürzt war, aber der Mann radelte unbeeindruckt weiter.
    »In

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