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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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etwas über die Schafzucht in Deutschland zu erfahren, blieb Osman stumm. Er beobachtete Marion den ganzen Abend, richtete aber nicht ein einziges Mal das Wort an sie. Marion konnte seinen Blick nicht deuten. Interesse? Ablehnung? Feindseligkeit? Oder war er einfach nur schüchtern? Batügül schien das Verhalten ihres Bruders ebenfalls zu irritieren; mehrmals versuchte sie ihn in das Gespräch einzubeziehen, bis er schließlich ungehalten aufstand und in einem der dunklen Zimmer verschwand. Sie sahen ihn den ganzen Abend nicht mehr.
    Als es für Marion Zeit wurde, aufzubrechen, bot Batügül ihr an, über Nacht zu bleiben. Marion lehnte dankend ab, da sie die Gastfreundschaft der Familie nicht über Gebühr beanspruchen wollte. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag, dann fuhr Koresh Marion mit dem Mofa zu ihrem Hotel zurück.

    Gut gelaunt sprang Marion die Stufen zum Hotel hinauf. Ihre Abreise aus Khotan würde sie nun doch noch ein paar Tage verschieben. Sie stieß die Tür zur Rezeption auf. Bis auf die Chinesin vom Nachtdienst und einen zeitungslesenden Mann war der zugige Raum leer. Sie nickte der Chinesin im Vorbeigehen zu und überlegte, ob eine der fünf Uhren, die hinter der Frau an der Wand hingen, richtig ging. Wenn man den Uhren vertraute, war es in Paris zwei Uhr und in London halb sechs. Die Uhr mit der Aufschrift »Urumqi« zeigte Viertel vor elf, was halbwegs der Wahrheit entsprechen konnte. Marion stieg in den zweiten Stock hinauf und sah sich nach der Frau mit den Schlüsseln um. Wie es in den meisten Hotels in China üblich war, hatte Marion keinen Zimmerschlüssel erhalten und musste jedes Mal eine der Angestellten bitten, ihr Zimmer aufzuschließen.
    Hinter der Biegung des Flurs hörte sie Stimmen. Die Hotelangestellte stand im Gang und unterhielt sich durch eine geöffnete Zimmertür mit einem ständig niesenden Gast. Marion wollte sie gerade ansprechen, als der erkältete Gast einen Schritt aus der Tür machte und der Frau die Thermoskanne abnahm, die sie in der Hand hielt.
    Marion schnappte unwillkürlich nach Luft. Der Mann war sehr groß und hatte breite Schultern. Gewellte Haare reichten ihm bis über die Ohren. Wegen seiner Erkältung hatte er sich einen Schal um den Hals gewickelt. Einen orangefarbenen Schal! Bevor er sich ins Zimmer zurückzog, sah er den Flur hinunter und bemerkte sie. Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sich gleichgültig abwandte und die Tür hinter sich schloss.
    Marion taumelte zurück. Die Hotelangestellte sah sie fragend an, und Marion riss sich zusammen. Sie folgte der Angestellten mit pochendem Herzen bis zu ihrem Zimmer und hatte das Gefühl, auf heißen Kohlen zu stehen, während die Frau umständlich mehrere Schlüssel ausprobierte. Endlich sprang die Tür auf. Marion stürzte in ihr Zimmer und verriegelte es von innen.
    Ihr Instinkt war also richtig gewesen: Der Mann mit dem orangefarbenen Schal war hinter ihr her. Es gab keine andere Erklärung für seine Anwesenheit in Khotan. Es war ein Irrtum gewesen, zu glauben, dass sie nur Kashgar zu verlassen brauchte, um ihre Verfolger abzuschütteln. Der Mann hatte nicht den Eindruck gemacht, als würde er sie erkennen, aber das wunderte Marion nicht. Jemand, der sie beobachtete, war auf ein zufälliges Treffen vorbereitet und konnte sie täuschen.
    Ein Knacken und Rascheln ließ sie zusammenfahren: Das Schaf in dem Stall unter ihrem Fenster hatte sich bewegt. In den Tiefen des Hotels betätigte jemand die Toilettenspülung. Das leise Murmeln eines Fernsehers drang durch den Spalt unter ihrer Tür ins Zimmer. Auf der Hauptstraße rumpelte ein Lastwagen vorbei. Das Brummen erstarb, und die Stille wurde bedrohlich. Bald würden die Hotelgäste schlafen, die Angestellten sich in ihre Kammern zurückziehen – und der Mann hatte freie Bahn.
    Eiskalte, alles beherrschende Angst ergriff von Marion Besitz. Ihr Magen krampfte sich zusammen und ihr wurde speiübel. Mit weichen Knien wankte sie auf das Bett zu und erschrak vor ihrer eigenen Spiegelung in dem schwarzen Fensterviereck. Zitternd zog sie die Gardinen vor, halb damit rechnend, plötzlich ein Gesicht vor dem Fenster auftauchen zu sehen. Das beklemmende Gefühl, nicht allein zu sein, ließ auch nicht nach, nachdem sie die Nacht ausgesperrt hatte. Panisch durchsuchte sie das ganze Zimmer, riss die Türen des Wandschranks auf, spähte unters Bett und lief ins Bad, um nachzuschauen, ob sich dort jemand hinter dem Duschvorhang

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