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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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verbarg. Wenn nur Thomas bei ihr gewesen wäre! Er würde sie trösten und beschützen. Jahrelang hatte sie sich über seine manchmal überhebliche, väterliche Art ihr gegenüber geärgert, aber er hätte sicher gewusst, was nun zu tun war. Marion hatte sich noch nie so wehrlos gefühlt. Die Wände des Hotelzimmers boten keinen Schutz.
    Plötzlich dachte sie an Batügül, an die Sicherheit ihres von hohen Mauern behüteten Hauses. Niemand würde sie dort vermuten. Ihr Entschluss war gefasst. Hektisch stopfte sie ihre Habseligkeiten in den Rucksack. Sie würde bei Batügüls Familie übernachten. Auf dem Weg dorthin musste sie sich eine plausible Geschichte ausdenken, warum sie sich anders entschieden hatte. Sie konnte nur hoffen, dass noch jemand wach war.
    Ein leises Klopfen an der Zimmertür ließ sie erstarren. Sie lauschte mit angehaltenem Atem. Nichts. Doch, da war es wieder. Jemand – der große Mann, wer sonst? – wollte sich seinen Besitz holen. Was jetzt? Sie war gefangen.
    Das Schaf ließ sich abermals hören. Der Stall! Vielleicht gab es doch einen Ausweg.
    Marion nahm den Rucksack, schlich zum Fenster und öffnete es vorsichtig. Ihr Zimmer lag im ersten Stock, aber direkt unter ihr befand sich das Dach des Stalls. Es sah stabil aus. Marion beugte sich vor und legte den Rucksack auf das Dach, dann kletterte sie über den Fenstersims nach draußen. Die Holzkonstruktion ächzte unter ihrem Gewicht, aber sie hielt. Sie warf den Rucksack hinunter und verfehlte nur um Haaresbreite das Schaf. Erschrocken blökte es auf.
    »Halt’s Maul«, entfuhr es Marion. Das blöde Vieh würde sie noch verraten.
    Sie sprang in den Stall. Das Gatter war nur angelehnt. Marion huschte hindurch und fand sich auf der Rückseite eines Mietshauses wieder. Ein Durchgang führte zwischen den Häusern auf die Hauptstraße. Bevor sie ihn erreichte, hörte sie hinter sich einen ärgerlichen Ausruf. In dem hell erleuchteten Fenster ihres Hotelzimmers hob sich deutlich der Schatten eines Mannes ab.
    Marion hastete in den Durchgang und stand wenige Sekunden später auf der Vorderseite des Hotels. Ein paar späte Passanten sahen sie neugierig an. Sie überquerte die breite Straße und tauchte auf der anderen Seite in die Enge der uighurischen Stadt ein. Sofort wurde sie von der Dunkelheit der unbeleuchteten Gassen verschluckt.

    Marion hatte den Eindruck, im Kreis gegangen zu sein. Schon bei Tageslicht hatte sie Schwierigkeiten gehabt, sich in dem alten Stadtteil mit seinen gleich aussehenden Gassen zurechtzufinden, aber jetzt war es aussichtslos. Ein Windhauch raschelte in den trockenen Blättern der Pappeln. Es hörte sich an wie Regen. Ein Vogel schrak aus dem Schlaf hoch und gab einen klagenden Laut von sich. Die tiefen Schatten waren voller gespenstischer Umrisse.
    Marion ging verzagt auf die nächste Weggabelung zu und versuchte sich zu erinnern, aber sie hatte keine Ahnung, ob sie mit Batügül hier vorbeigekommen war. Sie wählte den linken Weg. Es war sowieso gleichgültig. Sie würde umherirren, bis die Sonne aufging. Oder bis sie dem Mann mit dem orangefarbenen Schal in die Arme lief.
    Ein halbes Dutzend Wegkreuzungen später stolperte sie über eine Baumwurzel und blieb mutlos im Staub sitzen. Ihr war kalt. Sie wollte nicht mehr aufstehen. Müde lehnte sie sich gegen den Stamm des Baumes, dessen Wurzel sie zu Fall gebracht hatte. Ihr Blick fiel auf das rotgestrichene Tor gegenüber. Wie elektrisiert sprang sie wieder auf die Füße. Dieses Tor und der Baum kamen ihr bekannt vor: Hier, genau hier, waren sie und Batügül einem Fuhrwerk ausgewichen.
    Mit neuem Mut ging sie weiter, und zehn Minuten später gelangte sie auf den Pfad, der durch die Felder führte. Die Ziegelbrennereien kauerten in der Dunkelheit. Marion wollte die unheimlichen Gebäude so schnell wie möglich hinter sich lassen und verfiel in einen langsamen Trab. Außer Atem erreichte sie Batügüls Haus und hämmerte gegen das Tor.

    Batügül kniete sich neben Marions Lager und breitete eine weitere warme Decke über sie.
    »Ich bin euch so dankbar«, sagte Marion. »Wenn ihr mich nicht aufgenommen hättet …«
    »Schlaf jetzt«, schnitt Batügül ihr das Wort ab. »Morgen kannst du uns erzählen, was passiert ist.« Sie strich Marion über die Wange. »Du wirst sehen, es ist alles gar nicht so schlimm.«
    Batügül erhob sich. Im Hinausgehen löschte sie das Licht, und Marion war von tiefer Dunkelheit umgeben – einer Dunkelheit, die sie unsichtbar

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