Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
als Uighurin zu erkennen war, tat ihr gut. Die Ärztin war ihr auf Anhieb sympathisch.
»Möchtest du nicht auch etwas essen? Ich lade dich ein«, fragte Marion in der Hoffnung, sich noch ein wenig länger mit ihr unterhalten zu können.
»Nein danke. Das ist sehr nett von dir, aber es geht leider nicht.« Sie wies auf einen Klumpen Schweinehack auf der Arbeitsplatte des Chinesen. »Das Restaurant ist nicht halal. Ich bin eigentlich nur kurz hereingekommen, um mich bei dem Besitzer nach seiner Frau zu erkundigen. Sie hatte eine Operation.« Batügül machte eine Pause. »Und dann sah ich dich. Was ist dir zugestoßen? Der Bluterguss sieht übel aus. Ist dein Kiefer in Ordnung?«
»Ja, alles in Ordnung. Ich habe bei einer Schlägerei in einem Bus einen Haken kassiert.«
»Du hast dich geprügelt? «, fragte Batügül erstaunt.
»Nein, nein. Ich war nicht beteiligt, aber ich konnte mich nicht schnell genug wegducken.« Sie erzählte Batügül von dem Betrüger.
Die Ärztin schüttelte ungläubig den Kopf. Dann tippte sie sich gegen die Stirn. »Die Narbe sieht auch ziemlich frisch aus.«
»Ich möchte nicht darüber sprechen.«
Batügül nickte knapp. In ihren großen dunkelgrauen Augen konnte Marion tausend Fragen ablesen, aber die Ärztin respektierte ihre Weigerung und erkundigte sich stattdessen danach, was Marion in Khotan schon unternommen hatte. Marion hatte die Gelegenheit, Batügül genauer zu betrachten. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht mit einem zarten Kinn und einen kleinen, dezent geschminkten Mund. Beim Lachen zeigte sie strahlend weiße, ein wenig unregelmäßige Zähne. Auch ihre Nase war klein und unauffällig und ordnete sich den alles beherrschenden Augen unter. Die Ärztin war hübsch, aber was Marion am meisten anzog, war ihre lebhafte Mimik, die ihr schon die ersten kleinen Fältchen auf der Stirn und um die Augen herum eingebracht hatte.
Nach ein paar Minuten stand Batügül auf. »Ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät ins Krankenhaus. Hast du Lust, heute Abend bei uns zu essen? Ich kann dich gegen sechs von deinem Hotel abholen.«
»Meinst du das ernst?«, fragte Marion überrascht. In Südostasien waren sie und Thomas häufig spontan von ihren Zufallsbekanntschaften bewirtet worden, aber in China waren Einladungen in ein Privathaus sehr ungewöhnlich. Dies lag einerseits an der Enge der Wohnungen, andererseits an der Sicherheitspolizei, die nach wie vor ein Auge darauf hatte, wer wo und wann ein und aus ging.
»Natürlich meine ich es ernst, hätte ich dich sonst gefragt?«
»Aber ist das …«
»… erlaubt?« Batügül zuckte mit den Schultern. »Das lass meine Sorge sein. Meine Familie wird sich freuen, dich als Gast begrüßen zu dürfen.«
»Ich komme sehr gern. Ich wohne gleich hier, in dem Hotel neben dem Busbahnhof.«
»Gut, dann sehen wir uns später.«
Marion winkte ihr nach, als sie aus der Tür wirbelte.
Batügül schien eine sehr ungewöhnliche Frau zu sein. Das fand wohl auch der Wirt, der Marion zunickte und seinen mehlbestäubten Daumen nach oben reckte.
* * *
Der Weg zu Batügüls Familie führte durch den uighurischen Teil Khotans, der direkt auf der anderen Straßenseite gegenüber Marions Hotel begann. Hohe Lehmmauern umschlossen schützend jedes Haus, so dass sich Marion vorkam wie in einem Irrgarten. In den offenen Toren lehnten Frauen auf ihren Besen und tratschten mit den Nachbarinnen, während kleine Kinder zwischen ihren Beinen herumkrochen und die wärmenden Strahlen der schräg stehenden Herbstsonne genossen. Batügül grüßte nach allen Seiten; sie war bekannt wie ein Filmstar. Marion ging hinter ihr und verglich Batügül mit ihren Geschlechtsgenossinnen: Der Unterschied zwischen den behäbigen Frauen in ihren Röcken und Kopftüchern und der sportlich gekleideten Ärztin hätte nicht größer sein können. Batügül trug Jeans, weiße Halbschuhe, eine rot-weiß gemusterte Bluse und einen dazu passenden roten Cardigan. Ihre Haare waren unbedeckt, und sie hatte die wellige dunkelbraune Pracht mit einem schlichten Haarband aus dem Gesicht gebunden. Außer einer silbernen Armbanduhr trug sie keinen Schmuck.
Nach zehn Minuten ließen sie die Altstadt hinter sich und schlugen einen Weg ein, der zwischen Maisfeldern und Ziegelbrennereien hindurchführte. Als sie nach etwa einem Kilometer wieder auf eine Pappelallee stießen, bog Batügül nach rechts ab. Vor einem geschnitzten Holztor blieb sie stehen. »Willkommen«, sagte sie.
Ein
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