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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Interesse an ihrer Fremdartigkeit war dasselbe Interesse, das sie hierhergebracht hatte. Marion war schon immer der Auffassung gewesen, dass die Menschen ihres Gastlandes ein Recht darauf hatten, sie nach Herzenslust auszuquetschen.
    Ohne Vorwarnung fasste die Dicke Marion an die Brust und drückte zur Erheiterung der Umstehenden kräftig zu. Oh, wie schade, keine Kinder, wollte sie damit sagen. Marion schob die Hand beiseite. Es reichte. Sie war nicht in der Verfassung, die groben Scherze der Marktweiber länger zu ertragen, und drängelte sich aus dem Kreis der enttäuschten Frauen hinaus. Sie wollte nur noch allein sein.

    Auf dem Rückweg zum Hotel entdeckte Marion einen Laden, der Jade verkaufte. Das Schaufenster barst beinahe vor weißen, hell- und dunkelgrünen Jadeklumpen, winzigen Schmuckanhängern, Buddhastatuen, chinesischen Drachen und riesigen Kunstwerken mit Dutzenden von Einzelfiguren, die ganze Geschichten aus der chinesischen Mythologie darstellten. Marion drückte sich die Nase an der Glasscheibe platt, aber sosehr sie auch suchte, sie fand nichts, das auch nur annähernd so schön war wie ihr Pferd.
    Ihr Pferd? Marions Herz begann zu pochen, und das Kästchen schien ihr plötzlich ein Loch in die Innentasche zu brennen. Ihr schlechtes Gewissen regte sich, aber sie brachte es schnell zum Schweigen: Das kleine Kunstwerk gehörte nun ihr – sie hatte weiß Gott genug dafür durchgemacht! Rasch wandte sie sich von dem Schaufenster ab und ging weiter. Yandao würde den Mörder auch finden, ohne von dem Kästchen zu wissen.

    Zwei Tage später frühstückte Marion in einem kleinen Restaurant gleich neben ihrem Hotel, das sie schon am ersten Morgen entdeckt hatte. Eigentlich war Restaurant ein viel zu großes Wort für den winzigen Raum, in den der korpulente chinesische Besitzer vier Tische und eine Arbeitsplatte gequetscht hatte, auf der er seinen Teig knetete und mit Schweinehack gefüllte Dampfbrötchen herstellte. Eine Kochstelle mit einem riesigen Wok, in dem längliche Schmalzkuchen frittiert wurden, machten es fast unmöglich, sich zu bewegen, ohne etwas umzustoßen, aber der Mann huschte trotz seiner Fülle mit selbstverständlicher Sicherheit an den Hindernissen vorbei.
    Der Raum hatte eine bedrückend niedrige Decke und war ansonsten recht schmuddelig, aber Marion mochte den Chinesen, der sich jedes Mal, wenn sie seinen Laden betrat, die Zeit nahm, sich in umständlicher Zeichensprache nach ihrem Befinden zu erkundigen.
    Ihr wurde bewusst, dass sie seit ihrem Abend mit Yandao mit keiner Menschenseele gesprochen hatte. Englischsprechende Khotanesen hatte sie bisher nicht getroffen, und selbst die hartgesottensten Traveller schienen Khotan weiträumig zu umfahren. Sie lehnte sich zurück und betrachtete müßig das Sehnsuchtsposter, das der Chinese über seine Arbeitsplatte gehängt hatte: eine Kollage aus giftiggrünen Bäumen, zwischen denen großäugige Waldtiere hervorlugten. Im Zentrum des Bildes stürzte ein malerischer Wasserfall über noch malerischere Felsen; ein von glücklichen Vögeln und Schmetterlingen umspielter grellbunter Regenbogen spannte sich über einen mit dekorativen Schäfchenwolken versehenen Himmel. Eine echte Scheußlichkeit, aber wenn man den Kitsch ignorierte, blieben trotzdem saftige Vegetation, possierliche Tiere und Wasser im Überfluss – alles Dinge, von denen die Menschen in Xinjiang nur träumen konnten. Wer weiß, dachte Marion, vielleicht stammte der Knödelkoch aus einer Provinz weit im Osten, wo einem die Natur freundlicher gesinnt war.
    Marion überlegte gerade, ob sie ihren Aufenthalt in Khotan vorzeitig abbrechen und die erste Etappe auf dem langen Weg nach Osten, zu den freundlicheren Provinzen, in Angriff nehmen sollte, als sie eine schlanke junge Frau in engen Jeans bemerkte, die in der Eingangstür stand und sie neugierig musterte. Marion senkte beschämt den Kopf über ihre Schüssel mit gezuckerter Sojamilch. Sie wusste, dass sie schrecklich aussah. Die rotleuchtende Narbe auf ihrer Stirn ließ sich nur unzureichend mit den Haaren verdecken, und auf ihrem Kinn prangte ein dunkler Bluterguss. Die junge Frau zog sich einen Stuhl heran. » Yahximusiz. Hattest du einen Unfall?«, fragte sie auf Englisch.
    Marion lächelte sie gequält an. »Mehrere, um genau zu sein. Rehmet  – Vielen Dank, dass du fragst.«
    »Ich bin Ärztin. Mein Name ist Batügül.«
    Auch Marion stellte sich vor. Das Mitgefühl der Frau, die trotz ihrer westlichen Kleidung

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