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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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kletterte sie in ihre eigene Koje und vertiefte sich in die skandalösen Fehltritte von Pater Ralph. Sie hatte keine Lust auf eine Konversation mit ihren Mitreisenden.
    Der Zug setzte sich in Bewegung. Vor ihr lag der letzte große Abschnitt einer Reise, die sich ganz anders entwickelt hatte als erwartet.

Das Himmlische Pferd
    April 205 n.Chr.
    D ie kleine Werkstatt im Handwerkerviertel Wuweis war ungewöhnlich ruhig. Meister Liu hatte seine Gehilfen und sogar seinen Lieblingsenkel fortgeschickt. Mit feierlichem Ernst wählte er ein kleines Werkzeug aus und begann, behutsam auf einen schweren, unförmigen Block aus gebranntem Ton einzuklopfen. Stück für Stück lösten sich Teile des Tons und enthüllten die sich darunter verbergende Bronzeskulptur. Konzentriert setzte Meister Liu seine Arbeit fort, bis die Figur vollständig von ihrer Gussform befreit war.
    Hinter ihm erklang ein unterdrückter Ausruf, und er drehte sich ärgerlich um. Sein Enkel stand schuldbewusst in der Türöffnung.
    »Ich wollte nur den Bronzespiegel für den großen General holen, und da sah ich …« Er brach ab und zeigte auf die Figur vor Meister Liu. »Es ist perfekt«, flüsterte er.
    Meister Lius Ärger war schon verflogen. Er winkte seinen Enkel heran, und der junge Mann, dem gerade der erste Bart spross, umkreiste ehrfürchtig die Arbeitsplatte.
    »So ein Kunstwerk möchte ich auch einmal schaffen«, sagte er.
    »Das wirst du, Xiao Yi. Du bist viel talentierter als ich. Dein Spiegel für den General ist eine anständige Arbeit. Als ich in deinem Alter war, habe ich die Tage damit verbracht, die Bronzen zu putzen und zu polieren.«
    Schweigend standen der alte und der junge Mann vor dem Bronzepferd. Noch war die Oberfläche verschmutzt und blind, und die Gussgrate standen hässlich nach allen Seiten ab, aber auch ohne den Glanz, den es nach der Feinbearbeitung haben würde, strahlte das Pferd eine Kraft und Lebendigkeit aus, als würde es jeden Moment davongaloppieren. Die mehr als einen Unterarm lange Figur war meisterhaft ausbalanciert, nur eines der Hufe berührte leicht den Rücken einer Schwalbe, die Meister Liu anstelle eines Sockels geformt hatte.
    »Dieser Vogel … das Pferd ist so schnell wie der Wind, nicht wahr?«
    »Es ist ein Himmlisches Pferd. Und die können bekanntlich fliegen«, antwortete Meister Liu mit einem Augenzwinkern.
    »Meine können es nicht.«
    Meister Liu und sein Enkel fuhren beim Klang der autoritären Stimme herum. Ein großgewachsener alter Mann in einem Seidengewand durchmaß mit kraftvollen Schritten die Werkstatt. Die beiden Handwerker verbeugten sich tief.
    »Es ist mir eine Ehre, den verdienstvollen General in meiner bescheidenen Werkstatt begrüßen zu dürfen«, sagte Meister Liu. »Bitte gebt acht, Eure Kleidung nicht mit Ruß zu beschmutzen. Wenn ich geahnt hätte, dass Ihr persönlich den Spiegel abholen kommt, hätte ich …«
    »Spar dir die Worte«, unterbrach der General ihn barsch. »Du weißt, dass ich eine Schwäche für deine Werkstatt habe. Dein Brennofen und all die Werkzeuge erinnern mich immer ein wenig an die Hölle, von der diese neumodischen Buddhisten erzählen. Es kann nicht schaden, sich vorab ein Bild zu machen.« Er lachte dröhnend über seinen eigenen Witz und hieb Xiao Yi, der selbst kein Schwächling war, so heftig auf die Schulter, dass der junge Mann schmerzvoll das Gesicht verzog.
    »Und nun erzähl mir, was das Gerede über die fliegenden Pferde zu bedeuten hat. Sie könnten den berittenen Truppen von Nutzen sein.« Wieder lachte er so laut, dass es im ganzen Raum widerhallte.
    Statt einer Antwort trat Meister Liu einen Schritt beiseite und gab den Blick auf das Bronzepferd frei. Es war ihm unangenehm, dem General eine unfertige Arbeit zu präsentieren, aber gleichzeitig war es undenkbar, sich dem Mann, der gesellschaftlich so viele Stufen über ihm stand, zu widersetzen.
    Der General hielt unwillkürlich die Luft an, als er die Statue sah. Er war in der Hauptstadt erzogen worden und hatte dort eine tiefe Liebe zur Kunst und Dichtkunst entwickelt. Was er hier, in dieser Provinzmanufaktur, vor sich sah, war ein Meisterwerk, wie man es selbst in Luoyang oder in Chang’an nur selten fand.
    »Du hast dir deinen Ehrentitel redlich verdient, Meister Liu«, bemerkte er mit Achtung in der Stimme. »Jetzt weiß ich, warum die Leute selbst in tausend li Entfernung noch von dir sprechen.«
    »Ich bin nur ein einfacher Handwerker, dem eine hübsche Figur gelungen ist«,

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