Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
niederriss. Ein Lächeln, das auch Marion beherrschte.
»Wann soll ich dort sein?«, fragte sie. Der alte Chinese hatte ihr schlagartig ihre innere Ruhe wiedergegeben.
»Passt es Ihnen um sieben?«
»Ja. Bis später also«, sagte sie und stieß die Tür ein zweites Mal auf.
Das Postamt unterschied sich kaum von dem in Turfan. Marion fand ohne Schwierigkeiten den Paketschalter und ließ sich eines der genormten Postpakete geben. Vor den Augen des gelangweilten Beamten legte sie nacheinander die gerade erstandenen Gegenstände in die Kiste. Bevor sie die zerbrechliche Kuan Yin in Zeitungspapier wickelte, zog sie das Kästchen mit dem zerbrochenen Pferd aus ihrer Jacke und stopfte es seitlich neben den Krieger. In Gesellschaft der anderen Gegenstände sollte es beim Durchleuchten nicht weiter auffallen – es war nur eins von mehreren billigen Souvenirs. Sollten der chinesische oder der deutsche Zoll misstrauisch werden, konnte sie sich immer noch mit Unwissenheit herausreden.
Der Postbeamte zuckte nicht mit der Wimper. Marion nahm die Kuan Yin und legte sie behutsam auf die anderen Sachen, verklebte das Paket und bekam die Zollfreigabe. Dann adressierte sie es an ihre Freundin Susanne, der sie blind vertraute, und trug es zum Schalter. Die Gebühr für Luftpost war hoch, aber das war ihr gleichgültig: Sie wollte das Paket in Deutschland sofort in Empfang nehmen können. Sobald sie auf der Straße stand, verbrannte sie die Quittung. Sollte das Paket verlorengehen, würde sie niemals den Mut aufbringen, es zu reklamieren.
Eine Last war von ihren Schultern genommen worden. Dennoch hatte Marion einen inneren Kampf mit sich ausfechten müssen, bevor sie das Paket aushändigte. Es fiel ihr ungemein schwer, sich von ihrem Schatz zu trennen, auch wenn es nur für eine Woche war.
* * *
Der alte Ladenbesitzer saß bereits an einem Tisch, als sie das Restaurant betrat. Marion nahm ihm gegenüber Platz.
»Sie sehen anders aus«, begrüßte er sie irritiert.
»Ich war beim Friseur. Gefällt es Ihnen?«
»Ich mochte die hellen Haare lieber. Mit diesen kinnlangen schwarzen Haaren kann man Sie mit einer Chinesin verwechseln«, stellte er fest. »Was möchten Sie essen?«
»Bestellen Sie einfach, ich bin eine dankbare Esserin«, sagte Marion. »Stammen Sie aus Zhangye?«
»Nein, ich bin in Sichuan geboren und habe in Chongqing studiert. Warum fragen Sie?«
»Ich habe bisher niemanden aus Ihrer Generation getroffen, der so gut Englisch spricht. Zhangye scheint mir nicht unbedingt der Ort zu sein, wo man es lernt.«
»Gut beobachtet.« Der Alte lachte. »Wir befinden uns hier in der tiefsten Provinz. Aber was hat Sie in dieser ungemütlichen Jahreszeit nach Zhangye verschlagen?«
»Ich habe von dem Großen Buddha gehört, und da ich gerade aus Xinjiang komme, habe ich meine Reise in den Osten kurz unterbrochen.«
»Interessieren Sie sich für chinesische Geschichte?«
»Ich dachte immer, ich wüsste einiges über China, aber je länger ich hier bin, desto klarer wird mir, dass ich keine Ahnung habe.«
»Dann lassen Sie uns doch mit der ersten Unterrichtsstunde beginnen«, sagte der alte Mann und stellte einen in Papier gewickelten Gegenstand vor Marion.
»Für Sie.«
»Für mich?«
»Packen Sie es aus.«
Marion entfernte das Papier. Die Replik des Himmlischen Pferdes, die sie vorhin im Laden so bewundert hatte, kam zum Vorschein.
»Das kann ich nicht annehmen!«
»Sehen Sie es als Geschenk für meine Kundin des Monats. Ich hatte den Eindruck, dass Sie von der Skulptur sehr angetan waren.«
Marion nickte und strich über die glatte Oberfläche des Bronzepferdes.
»Vielen Dank. Es wird einen Ehrenplatz bekommen.«
»Ich will ja nur, dass Sie ab und zu an den alten Souvenirhändler aus Zhangye denken. Es ist also ein ganz eigennütziges Geschenk. Darf ich nach Ihrem Namen fragen?«
»Marion. Oder Ma Li Huo, wenn es Ihnen lieber ist.«
»Ma Li Huo? Wissen Sie, was es bedeutet?«
»Nein.«
Er bückte sich zu seiner Tasche unter dem Tisch und kam mit einem Stift wieder zum Vorschein. Mit schnellen Strichen zeichnete er drei Schriftzeichen auf eine Serviette.
»Sehen Sie? Die Zeichen für Ma Li Huo.«
Marion betrachtete die unverständlichen Zeichen. Sie hatte keine Idee, worauf er hinauswollte.
»Ist das die Schreibweise?«
»Ja.« Er wies nacheinander auf die drei Zeichen. » Ma, Pferd. Li, das Zeichen für Stärke und Kraft. Huo, Feuer. Ein machtvoller Name: Pferd – Kraft – Feuer. Das starke Pferd
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