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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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beide haben immerhin keine Vorurteile.«
    Marion hob ihr Teeglas. »Erzählen Sie weiter.«
    »Wo waren wir stehengeblieben?«
    »Der große Wu Di hat die Barbaren davon überzeugt, dass es nicht klug ist, ihn zum Feind zu haben.«
    »Genau. Eines der Reiche war Dayuan, im heutigen Ferghana-Tal in Usbekistan. Wugua, der König des etwa viertausend Kilometer von Chang’an entfernten Dayuan-Reichs, hatte Pferde geschickt, und als der Kaiser die Tiere sah, erkannte er sie als die Tian Ma, die Himmlischen Pferde, die einer Weissagung zufolge aus dem Nordwesten zu ihm kommen sollten. Kaiser Wu Di stellte umgehend eine Gruppe fähiger junger Männer zusammen. Sie reisten nach Ershi, wo der König von Dayuan die besten seiner Pferde versteckt hielt. Die Chinesen wurden unfreundlich empfangen, und der König weigerte sich, ihnen die Pferde auszuhändigen. Auf ihrem Rückweg nach Osten töteten seine Männer die chinesischen Abgesandten.«
    »Den Rest kann ich mir denken«, warf Marion ein. »Der Kaiser will Rache und holt sich die Pferde mit Gewalt.«
    »Richtig. Sobald Kaiser Wu Di davon erfuhr, beschloss er, Wugua für seinen Hochmut zu bestrafen und ihm die Stärke der Han zu demonstrieren. In großer Eile wurde ein Heer unter der Führung des Generals Li Guangli nach Dayuan entsandt. Der erste Feldzug war erfolglos, aber bei einem zweiten Versuch gelang es dem General, die Pferde von Dayuan nach China zu bringen.«
    »Solch ein Aufwand für ein paar Pferde! Was war Besonderes an ihnen, dass dafür Zehntausende von Soldaten geopfert wurden? Pferd ist Pferd, für mich sieht eins aus wie das andere.«
    »Es heißt, dass sie sehr ausdauernd und schnell waren. Nicht nur dem Kaiser war klar, dass die herrlichen Tiere den chinesischen Ponys weit überlegen waren und den Han endlich die Möglichkeit gaben, die wendigen Reiter der Xiongnu auszumanövrieren. Der Legende nach haben die Pferde Blut geschwitzt.«
    »Habe ich richtig gehört? Sie haben Blut geschwitzt?«
    »Heute geht man davon aus, dass die Pferde Parasiten in der Haut hatten, die ihnen kleine Wunden beibrachten. Aber Sie müssen sich vorstellen, wie dieses Phänomen auf die Menschen vor zweitausend Jahren gewirkt hat. Manche glaubten sogar, die Himmlischen Pferde seien in der Lage zu fliegen.«
    Der alte Mann zeigte auf das Bronzepferd, das er Marion geschenkt hatte. »Und jetzt schließt sich der Kreis zu diesem Kunstwerk, oder besser, zu dem Original: Es stellt eines der Himmlischen Pferde dar. Archäologen haben die aus der späten Han-Dynastie stammende Skulptur in einem Grab in Wuwei gefunden, nur dreihundert Kilometer von Zhangye entfernt. Nachdem die Himmlischen Pferde sicher nach China gelangt waren, ließ der Kaiser überall im Land Gestüte gründen, um sie zu züchten. Die größten Gestüte entstanden hier im Hexi-Korridor.«
    Es war inzwischen beinahe zweiundzwanzig Uhr. Der alte Chinese gähnte herzhaft. »Entschuldigen Sie. Normalerweise liege ich um diese Zeit bereits im Bett und schlafe.«
    »Sie sind ein wandelndes Geschichtsbuch. Ich habe richtig Lust bekommen, mich weiter mit dem Thema zu beschäftigen.«
    »Tun Sie es. Wenn Sie in Xi’an sind, sollten Sie unbedingt ins Historische Museum gehen.«
    »Das werde ich machen. Und jetzt will ich Sie nicht weiter um Ihren Schlaf bringen.«
    »Es war mir ein Vergnügen. Ich habe nicht oft so aufmerksame Zuhörer wie Sie, Mächtiges Feuerpferd.«
    Marion zog eine Grimasse. »An diesen Namen muss ich mich erst gewöhnen.«
    »Im chinesischen Horoskop gelten Feuerpferde als extreme Charaktere, wild, unzähmbar, klug. Mit Feuerpferden wird es nie langweilig. Leben Sie wohl. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise«, sagte er und trat vor ihr auf die nächtliche Straße.
    * * *
    Das Schlafwagenabteil war eine angenehme Überraschung: sauberer, blauer Linoleumfußboden, weiße Resopalwände, blütenreine Vorhänge, hellblau gerüschte Unterlagen für die Schlafpritschen. Marion stellte den Eimer, in dem Bruder Tuck in einer Wasserpfütze schlief, auf den Tisch und schob ihre Tasche unters Bett. Sie hatte sich entschieden, die Schildkröte zu behalten. Einer der Abteilgenossen blickte gierig von seiner Koje in den Eimer.
    »Hen hao«, bemerkte er und schmatzte mit den Lippen.
    »Untersteh dich!«, fuhr Marion ihn an. »Die ist nicht für deinen Magen bestimmt.«
    Der Mann zog erschrocken seinen Kopf zurück, was ihn selbst wie eine Schildkröte aussehen ließ. Marion warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann

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