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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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es da im Mondschein. Es bildete die Ecke zwischen Hauptstraße und Markt. Weiter hinten begrenzte die Kirche das still geschlossene Geviert des Platzes. Mit ihren vielen freistehenden Schmuckturmspitzchen erschien sie weltlicher geputzt und unruhiger als das harmonisch gegliederte Stadthaus mit seinem Hallen-Unterbau und seinen breiten, dreigeteilten Fenstern. Hinter einem dieser Fenster saß ein alter Mann und schrieb. Flockig stand ihm silberweißes Haar um das stillgeneigte Gesicht. So etwas Stilles, Zeitloses lag über dem Einsamen da oben! Heinrich Hummel sah lange hinüber.
    Auf einmal schellte die Nachtklingel. Heinrich horchte hinaus. Es gab ein wenig Treppenlaufen im Hause, der Onkel im Schlafrock gab dem jungen, französisch antwortenden Laufburschen, der unten schlief, eine Anweisung. Auf Heinrichs Frage rief er gleichmütig hinauf, im »Lustigen Bruder« hatten sie einen zu Boden geschlagen. Es sei weiter nichts passiert. Bald war alles wieder still.
    Hummel setzte sich an den ovalen, etwas schwankenden Tisch. Er hatte sich einen Band von Gottfried Keller mitgebracht, in dem las er. Um ihn her war es traulich, wie von atmenden Wesen belebt. Das Muttergottesbildchen schien ihm freundlich zuzusehen, sein Lämpchen surrte mit einem behaglichen Mückenton, eine kleine eilige Uhr mit einem Füllhorn voll künstlicher Blumen tickte ganz hell, der niedrige blauweiße Fayenceofen, über dem die Röhre sich in phantastischen Schlangenwindungen zur Decke hinzog, trug in alter Schrift einen Spruch: » Je suys le soleyl de l`hyvère. « Und auf dem Nachttisch,der eine alte Säule nachahmte, lag ein schöngebundenes, Gebetbuch: »Maria, du Morgenstern.«
    Sein Tag zog an ihm vorüber. Nach all der Bücherstöberei der letzten Wochen und dem angestrengten Wandern in der Schweiz der erste Tag der Einkehr in sich selbst.
    »Holt, ihr Bürger, ich tu' euch kund,
es ist nun die elfte Stund'.«
    Da löschte er das Licht.
    Er hatte einen sonderbaren Traum, der ihn in silbern tönendem Korn mit schönen Mädchen spazierengehen ließ. Eine große schwarze Schlange folgte ihm wie ein treuer Hund. Er trat auf weichen, weichen Weg. Musik war um ihn. Im halben Erwachen fand er sich dann überquer im ungewohnten französischen Zweierbett liegen, draußen war Kirchengeläut, und ihm gegenüber blendete das schwarze gewundene Ofenrohr. Noch schlafschwer blinzelte er darauf hin. Sofort aber begann sein Hirn die Gewohnheit der Examenzeit fortzusetzen und mechanisch Gedächtnisübungen zu machen. Er sagte sich die Reihenfolge der Handwurzelknochen her: das Kahnbein – das Mondbein – das Dreiecksbein.
    Völlig wach werdend lachte er auf. Da hörte er den Nachtwächter mit rostiger Stimme singen:
    »Hört, ihr Bürger, ich tu' euch kund,
es ist um die fünfte Stund'.
Morgenrot am Himmel schwebt,
und wer den neuen Tag erlebt,
der danke Gott dem Herrn!«
    Da schlief er friedlich wieder ein.
     
    Im »Lustigen Bruder«, wo die »Wackes« tranken, war es lebhaft zugegangen heute abend. Schon gleich nach Arbeitsschluß war die Stube dicht voll, über den Tischen und Bänken lagerte Tabaksdunst. Die beiden offenen Öllämpchen flackerten im Luftzuge und im Stimmengewirr, das gegen sie andrängte, unruhig hin und her; zu den fast ebenerdigen Fensterchen sahen blutrote Himmelsstücke herein. Öffnete einneuer Ankömmling die Tür, so verschwadete sich der Dampf und ließ für einen Augenblick rote, massige Gesichter und graugelbe über schmutzigen Werkstattblusen auftauchen; eine ausladende Armbewegung wurde sichtbar, dann vergraute wieder alles. Es roch nach Schnaps, Schweiß und Pfeifenschmauch. Ab und zu polterndes Lachen, das zwischen dem Durcheinanderreden hervordröhnte. Alle sprachen aus voller Kehle und zu gleicher Zeit. Man war behaglich.
    Jetzt aber eine Krähstimme mitten hindurch.
    Alle horchten auf. Der Pfiffer-Schang war gekommen, der auf den Dörfern aufspielte. Man bewunderte ihn, weil er so gewitzigt war, aber man scheute ihn auch. Manche wollten wissen, er habe geheime Auftraggeber unter den Regierenden, denen er die kleinen Leute aushorche und verrate. Bestimmtes wußte man nicht, aber es war doch eine wortlose Verabredung zwischen den Arbeitern, sich in acht zu nehmen vor ihm.
    Pfiffer-Schang hatte sich auf den Tisch geschwungen, er baumelte mit den langen Beinen gefährlich zwischen den Nasen seiner Nachbarn auf und ab. »Gottverdammi,« kreischte er nun los. »Han ihr scho' g'hört? Lustig geht's zu drobe in Mülhuse, nix

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