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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Leute.
    Quine stand mit seiner Gesellschaft am Rathause. Er blickte verächtlich um sich. »Die Stadt Paris hat nicht das Recht, uns ein Gouvernement aufzudrängen,« sagte er zu Théophile Schlotterbach.
    »Pst,« machte der vorsichtig – er sah gelb aus und faltig wie ein altes Lederetui. »Großer Gott, welch ein Tag! Der Tag des 4. September 1870 wird in der Geschichte aufgezeichnet bleiben.«
    Diesen leeren Ausspruch, mit dem jede Partei zufrieden sein konnte, wiederholte er ein paarmal selbstgefällig.
    Man rief nach dem Curé. Als man hörte, er liege krank zu Bett, machten sich einige auf, ihn zu holen und auf den Platz zu bringen. Er sollte reden.
    Quine sah hochmütig in die Menge.
    »Die Republik erklären,« sagte er laut, »das heißt, wieder einmal die Canaille regieren lassen. Merci bien. Wir haben genug davon gehabt!«
    Zum erstenmal lag etwas wirklich Edelmännisches in seinem Hochmut.
    Théophile lächelte nervös. Er wehte sich mit seinem Hute Kühlung zu. Blanche de la Quine lachte hell auf. »Die Republik, das amüsiert mich. Man wird sich gegenseitig Bürger und Bürgerin titulieren. Bon soir, mon cher bourgeois. « Sie sah kokett zu Jules auf. Aber der achtete nicht auf sie. Hortenses Worte hatten ihn entflammt. Er hatte inmitten des unwürdigen Geschimpfes einen Entschluß gefaßt. Er wollte tun, was sie gesagt hatte, wollte kämpfen für sein Land, für seine Freiheit. Gleich jetzt wollte er seinen Koffer packen, fortgehen ohne Abschied, ehe noch seine Mutter zurückkam. Er dachte dabei an Françoise und an die Heldenaureole, die er in ihren Augen erhalten würde.
    Der alte Schlotterbach berichtete, zahnlos und ironisch, im »Souveränen Wahlmann« habe es gestanden, noch am Dreißigsten habe Napoleon dreißigtausend Mann von Mac Mahon begehrt, um den Prince Royal zu schützen. Er habe sich dann anPalikao gewendet, aber die Soldaten, die sich so der Dynastie geopfert sahen, hatten es vorgezogen, sich Preußen auszuliefern.
    Bluhms Vater, im Jahre Achtundvierzig nach Frankreich eingewandert, klein, verwachsen, der zufällig aus Metz bei seinem Sohne zu Besuch war, erzahlte: Eugénie sei aus Paris geflohen und nach Belgien gegangen. »Nichts bleibt vom Kaiserreich als die große Staatsschuld, der drohende Bankerott, die fürchterlichen Menschenverluste und die Invasion.«
    Wie ein Strudel seine Massen immer wieder in dasselbe Loch hineintrichtert, so fanden die erregten Gemüter immer wieder neue Verwünschungen und Flüche für das abgesetzte Kaiserhaus. Einmal schrie einer auch: »Merde la Prusse« , aber niemand stimmte ein. Man hatte über dem Toben gegen den gestürzten Kaiser den eigentlichen Feind vergessen. Triumphzüge bildeten sich, Tambour und Bläser voran, die unausgesetzt »Vive la république« schrien, die Kinder holten ihre alten Stocklaternen wieder vor, die sie zur Feier des »Sieges« in Saarbrücken bekommen hatten, und liefen mit. Man sang die Marseillaise. Die Wirtshäuser waren bis ins letzte Winkelchen voll Menschen gepfropft. Sonderbar nahmen sich darunter die drei Achtundvierziger aus, die der gemeinsame Freiheitsrausch für heut abend zusammenführte: Schlotterbach ainé , Bluhm und der alte Groff. »Jetzt kommen wieder wir an die Reihe,« sagten sie ab und zu und schenkten sich ein.
    Hortense hatte recht gehabt. Der Krieg war nicht aus, er fing erst recht an. Draußen und drinnen. Auch hier in Thurwiller. Jetzt erst bekam er Wirklichkeit und Gestalt für das Städtchen. Tränkele ging mit der Trommel umher und verkündete, die diesjährige tirage au sort falle aus, die ganze Klasse werde aufgerufen. Unaufhörlich wirbelte der Staub in die Höhe unter den schweren Schuhen junger Bauernburschen, die, von den nächsten Dörfern kommend, in Thurwiller noch einmal »la fête« begehen wollten und sich mit den Mädchen, Tanz und Musik lustig machten.
    Auch sonst machte das Volk sich laut. Bei Schlotterbachs brach ein Brand aus. Man verhaftete zwei Arbeiter als Schuldigeund mußte sie wieder loslassen, weil ihre Genossen, denen unter der Republik üppig der Kamm schwoll, sich drohend zusammenrotteten. Die »Kronen«-Wirtin, die zu den wenigen gehörte, die ihren Imperialismus nicht verleugneten, kam weinend zu Balde. Man hatte ihr Schmähzettel an die Gardinen geheftet, und Monsieur Bourdon grüßte sie nicht mehr auf der Straße.
    »Petit-Singe« brachte aus Bollwiller immerfort neue Nachrichten vom Vorrücken der badischen Prussiens gegen den Rhein. Man sprach wieder

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