Die Verborgene Schrift
von einem Überschreiten des Flusses, ganz in der Nähe. Auf der Regisheimer Straße kam ein junger Bauer mit verhängten Zügeln gesprengt und erzahlte ein paar alten Weibern, die er da fast über den Haufen rannte: Ein badisches Armeekorps, etwa fünftausend Mann stark, beschieße Kembs und die andern Ortschaften da am Rheinufer mit Kanonen. Deutlich habe man von Hornburg das Schießen gehört. Alle Bauern wollten die Waffen ergreifen und ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen.
Die Spittelweibchen gingen ins Städtchen zurück und erzählten. In wenigen Minuten standen unter jeder Türe schweigende Männer mit entschlossener Miene, in der Hand ein Beil, ein Messer, ein Handwerksinstrument, über eine Stunde standen sie so. Feierlich, ohne zu reden. Sie warteten. Neue Bauern kamen und bestätigten die Nachricht. Die Preußen waren in Hornburg. Man hörte schießen von dort. Pariser Franctireurs, die gerade in Mülhausen waren, seien ihnen entgegengekommen. Dazu ein Extrazug mit Nationalgarden und Pompiers. Der alte Füeßli hatte es sich nicht nehmen lassen, mitzufahren. Zuletzt war auch noch sein Enkel Monsieur Pierre aufgestiegen auf die Lokomotive zum Heizer, um den Alten zu behüten.
Und dann kam ein großes Gelärme, man hatte in der Totenkapelle des Zuchthauses die von Balde bestellten Gewehre entdeckt, die der Curé hatte abfangen und nachts heimlich in dieses Versteck bringen lassen.
Der Curé in seinem Bett tat sehr entrüstet, als man ihn zur Rede stellte. Es seien alte Systeme, durch den Mund zuladen, alle fünf Minuten eine Kugel. Man würde nur Unheil angerichtet haben mit den alten unbrauchbaren Dingern.
Aber er fand es doch geraten, in aller Morgenfrühe des nächsten Tages sich seiner angegriffenen Gesundheit wegen nach einem Badeorte in den Vogesen zu begeben und dort den weiteren Verlauf der Geschehnisse abzuwarten.
Unterdessen hatten die Bürger ihre Handwerkszeuge weggeworfen, die Waffen ergriffen und begonnen auf die Hardt zuzumarschieren. O, man wird sich nicht überfallen lassen von den Prussiens, man wird zeigen, daß man zu sterben weiß für das Vaterland!
Jeder einzelne dieser Plumpen, Schwerfalligen sieht mutig aus wie Saint George.
Die Stadt ist wieder still geworden nach ihrem Abzuge. Im mondhellen alten Garten der »Zwei Schlüssel« unter den beiden mächtigen Nußbäumen sitzt eine Anzahl Männer und berät. Eine halbpolitische Versammlung, die sich schlüssig machen möchte, welches Betragen man zu befolgen habe unter den veränderten Verhältnissen. Handwerker, Fabrikangestellte, Landbesitzer. Ein Zahnloser, ein kleiner Rentner aus Kolmar, der bei Thurwiller sein Sommerchâlet hat, hält eine kleine Rede, während ihm der Schnupftabak vom Rockkragen in sein Weinglas hineinstäubt, das er in der Hand hält wie ein Hochzeitsredner. Er schlägt vor, daß man sich jede Woche hier treffen und beraten solle, und zieht eine Liste aus der Tasche, auf der verzeichnet ist, wen man zu diesen monatlichen Reunions auffordern solle. Muß man nur reine Republikaner einladen? Solche, die es immer waren? oder auch solche, die, obgleich nicht als Republikaner bekannt, doch beständig Proben liberaler Gesinnung gegeben haben? Man nennt Balde, den alten Schlotterbach. Bourdon? Man lacht. Der Wirt geht umher und schenkt ein. Er ist interessiert wie im Theater. Denn jetzt erzählt jeder irgendeine Anekdote für, meistens aber gegen einen, der zur Reunion vorgeschlagen. Eine schreiende Diskussion hat angefangen. Jeder sucht den andern durch Brüllen zu überzeugen, faßt ihn am Rock, pafft ihm seine Pfeife ins Gesicht.Endlich steht der Zahnlose wieder auf, fordert Ruhe und setzt auseinander, daß es sich jetzt nicht darum handle, sich auf Persönlichkeiten festzunageln, sondern daß es jetzt wichtig wäre, über die Hauptprinzipien zu reden, über die dringendsten Reformen. Er wirft ihnen das Wort entgegen, das man schon hie und da in Paris und Kolmar rufen höre: »Trennung von Staat und Kirche.«
Tiefes, betroffenes Schweigen. Niemand hat Lust, sich mit wirklich sozialen Dingen zu befassen. Der Redner selber nicht, denn er setzt sich erleichtert wieder hin. Ein Fabrikangestellter, ein fester, dunkelhäutiger Mann mit schwermütigen Augen, erklärt, während er mit der breiten Hand auf bei Tisch trommelt, daß man jetzt auf jeden Fall den Klerus bekämpfen müsse, und daß dazu die geeignetsten Mitkämpfer der Bürger die Arbeiter seien. Es ist wie auswendig gelernt, was er sagt. Und wie ein
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