Die Verborgene Schrift
Preußen schossen zurück. Immer nur von den Ufern aus. Man flößte sich gegenseitig Schrecken ein, aber ein Franctireur hatte irgendwie dabei eine Schramme bekommen.
Der Verwundete, ein hübscher Bursch mit verlebten Zügen, ließ sich feiern. Er trug den Arm in einer Binde und hatte das lustigste der Fabrikmaidele auf dem Schoß. Er spielte den Helden bis zum Morgen, dann zogen die Franctireurs nach Kolmar weiter. Eine große Menschenmenge gab ihnen das Geleit.
Die Leute waren noch nicht weit gekommen, als sie einem Bauern begegneten, der erzählte, ein Trupp badischer Ulanen sei eben an ihnen vorbeigehetzt. Zu Tode erschrocken, kehrten die Thurwiller um.
Kurz vor dem Städtchen blieben sie alle plötzlich stehen. Sie blickten auf den Kirchturm. Da flatterte eine Fahne.Aber seltsam, die Farben standen nicht wie gewöhnlich quer zum Tuch, sondern liefen mit ihm. Und das war ja auch nicht Blau-, das war Schwarz-Weiß-Rot, die deutsche Fahne.
Nun war der Krieg also auch nach Thurwiller gekommen. Dicht heran. Aber noch immer nicht schien seine Gestalt so furchtbar, wie die Phantasie der Aufgeregten ihn sich gemalt hatte. Die vier Reiter, die da in aller Schnelligkeit und doch fast Gemütlichkeit Besitz ergriffen hatten von der Stadt, trugen nicht einmal die berüchtigten Pickelhauben. Sie hatten die flotten, graziösen Ulanenhelme auf mit der fast kokett schiefen Stirnspitze, und sie sprachen ein Rheinisch, das ein wenig an Elsässisch erinnerte. Die Kinder liefen lachend und vergnügt zwischen den Pferden mit, und die Frauen sahen durch die Herzlöcher der geschlossenen Läden. Einige öffneten sogar die Fenster und lehnten sich neugierig weit heraus. Man wurde sich vor den vier schlanken hübschen Burschen gar nicht recht klar, daß dies der Feind sei. Stattlich sahen sie aus auf ihren blanken, dunklen Pferden, alle vier mit blondem Haar und verbrannten Gesichtern, aus denen die Augen hell herausblitzten. Im Galopp, ohne sich umzusehen, waren sie bis vor das Stadthaus geritten, geradeswegs, als ob sie im Städtchen zu Hause wären. Dort stiegen sie ab. Zwei ritten weiter, zwei gingen ins Gebäude hinein. Auf der Treppe fanden sie die erschreckte Madame Tränkele, die sie nach dem Maire schickten.
Als Balde erschien, fand er unten vor den Kolonnaden eine Rotte Buben, die die Pferde des Feindes an den Zügeln hielten und streichelten; zugleich aber kam, von der schönen Célestine geschickt, der kleine Charles mit fliegenden Locken herbeigerannt. In dem unsäglich schmutzigen Fäustchen hielt er eine Reitpeitsche, die wohl von Quine stammen mochte, und die er gewaltig schwang. Der Dreikäsehoch ging mutig auf den hochbeinigen Braunen los, der ihn mit großen, glänzenden Augen wohlwollend ansah. »Verdammtes Schwoweroß,« rief er mit seiner grellen, hohen Kinderstimme. Das Pferdzuckte und sah fragend zu ihm herunter. Als der Kleine zu einem zweiten Schlage ausholte, hob Balde ihn hoch, nahm ihm die Peitsche aus der Hand, setzte ihn wieder zu Boden und gab ihm dort eine kleine väterliche Züchtigung. Der Bub schrie wie besessen. Zugleich sah er nach der Posttüre hinüber, in der neben seiner Mutter Monsieur de la Quine sichtbar wurde.
Balde ging zum Rathaus hinauf. Die Treppe wurde ihm heute schwer. Er mußte zweimal stehenbleiben und Atem schöpfen.
Er traf die preußischen Offiziere im großen Saal, sie betrachteten bewundernd die alten Schnitzereien an Tür und Decke. »Gutes sechzehntes Jahrhundert,« sagte der Bärtigste. Dann gaben sie sich einen Ruck, der Balde komisch schien, und standen sehr gerade da. Man begrüßte sich. Die Offiziere nannten ihre Namen: Hauptmann von Cleß und Leutnant Bertow.
»Sie wissen, Ihr Land steht unter unserer Verwaltung,« sagte der Hauptmann. Seine Stimme klang scharf und streng.
»Ich weiß es, mein Herr.« Er sprach aus irgendeinem Trotz heraus Französisch.
»Haben sie Franktireure in der Stadt?«
Balde verneinte. Seine kleine Garde rechnete ja noch nicht. Leider!
Der Hauptmann sah ihm scharf ins Gesicht. »Wie steht es mit den Quartieren? Sie werden Einquartierung bekommen. Sechs Offiziere, hundertdreißig Mann, siebzehn Pferde. Für jedes Pferd täglich sechs Kilogramm Hafer, zwei Kilogramm Heu, anderthalb Stroh. Jeder Soldat siebenhundertfünfzig Gramm Brot, fünfhundert Gramm Fleisch, zweihundertfünfzig Fett, dreißig Kaffee, sechzig Tabak oder fünf Zigarren, ein halb Liter Wein oder ein Liter Bier. Zahlung bar.«
Balde nannte ihm aus dem Kopf und
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