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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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faltigen Gewande, die Enden ihres Fichüs ihr nachflatternd, stand sie da wie eine gesegnete Charlotte Corday. »Willkommen die Republik!« rief sie noch einmal. »Sie wird das Schwert aufnehmen, das dem Kaiser entfallen ist. Was bedeutet uns jetzt noch der Kaiser? Ein einzelner Mann! Frankreich hat mit ihm nicht aufgehört zu existieren. Ihr alle hier,die ihr waffenfähig seid, macht euch auf, jetzt schlagt ihr euch nicht mehr um der Sicherheit der Dynastie willen, ihr schlagt euch für euch selbst, für Weib und Kind. Ihr schlagt euch für mehr als das: für Frankreich.«
    Wütendes Händeklatschen ringsum. Trotzdem die wenigsten ihr Französisch verstanden, wirkte doch der Ton auf sie begeisternd. Aber auf einmal gab es ein verlegenes Verstummen, man trat ein wenig auseinander. »D'r Herr Maire.«
    Balde sah sehr ernst aus. Er stützte sich auf seinen Stock, den er sonst nur immer lose in der Hand hielt. Keinen Blick warf er auf die Seite, wo seine Tochter stand. Aber seine Stimme war fremd, als er im Gegensatz zu ihrem Pathos sehr leise sagte:
    »Mesdasmes, messieurs«! Mi Sach isch's net, z'untersuche, ob 's gouvernement güet gsi isch oder schlecht, 's isch g'falle! Assez . Mi devoir awer isch's, daß i d'r souverain net beschimpfe loß', dem wo i d'r Eid g'schwore han.«
    Ein unzufriedenes Gemurmel, das anhub, unterbrach ihn.
    » Quant à moi, i muß uf'm Platz üshalte, wo mir d'r empereur a'gwiese hett, üshalte muß i,, bis a neues, rachtmäßiges gouvernement mir d'r congé git un d'r serment ufhebt.«
    Wieder Gemurmel.
    »Denkt dran, messieurs, 's sin nur a paar Monat, daß ihr Stimme g'sammelt han für d'r Kaiser. So han doch Reschpekt vis-à-vis von eurer eigene opinion , wann ihr ewe die Dynastie net reschpektiere wolle.«
    In diesem Augenblicke wandten sich alle Blicke nach der Apotheke. Ein Dachfensterchen war da aufgestoßen worden, und es erschien eine Fahne, die, anstatt des kaiserlichen Adlers an der Spitze, den revolutionären Hahn trug. Camille Bourdon, der in höchsteigener Person da oben hantierte und halben Leibes aus dem Fenster hing, sah mit Erstaunen lauter breitlachende Gesichter zu sich emporgerichtet. Der alte Groff gebärdete sich wie unsinnig, rannte umher und zeigte jedem den »coq« , der von seinem Vierundzwanziger Tschako stammte. Bourdon hatte ihm die Kokarde abgekauft.
    »Diese Fahne ist eine Wetterfahne,« sagte jemand boshaft.
    Das Murren hatte sich in Lachen verwandelt.
    Balde knöpfte seinen Rock zusammen und ging mit festen Schritten aus dem Haufen heraus, der ihm schweigend Platz machte. Vor seinen Töchtern blieb er stehen. »Ihr begleitet mich wohl nach Haus?« Er gab beiden den Arm.
    So, in trügerischer Eintracht, schritten sie dahin, während vom Platze her das Schreien und Brausen ihnen folgte.
    Inzwischen war aus der Maison Centrale eine ganze Gesellschaft herausgetreten: Quines, Jules und alle Schlotterbachs, sogar der Alte, den die Republik-Erklärung berauscht hatte. Zum Entsetzen seines eleganten Schwiegersohnes schneuzte er sich laut in ein buntgewürfeltes Taschentuch. Madame Schlotterbach winkte abwehrend hinüber: »Mais, papa!« Die kleine Frau hatte rotgeweinte Augen. Sie hatte seit einigen Tagen keine Nachricht mehr aus Basel über Victor Hugo.
    Jetzt erschien auf der Treppe der Pharmacie der alte Camille. »Han i's euch net immer g'sait,« rief er schon von weitem, »do han m'r d' résultats vom plébiszit .‹«
    Lautes Lachen und Höhnen antwortete ihm.
    »Doktre Euch doch selwer a médicament z'samme üs Euere phiols, monsieur le pharmacien , – ein's gege's Vergasse!«
    »Was meinen Ihr?« Der lange Mann bebte. Schmied-Louis stellte sich breit vor ihm auf, so daß Jules sich schützend dazwischen schieben mußte. » Nundedié , wer isch denn mit dene Lischte ummeg'rennt: M'r soll ›Ja‹ stimme?«
    Der alte Bourdon hatte seine Schlauheit wiedergefunden.
    »Jo, wohr isch's,« sagte er bescheidentlich, »g'sammelt han i scho für das ›Oui‹ , awer« – seine Stimme wurde schmetternd, als er pathetisch auf französisch fortfuhr – »wie ich selber gewählt habe, mesdames, messieurs , das weiß nur ich allein und mein Herrgott droben im Himmel.«
    Allgemeines Gelächter. Man war dem alten Spitzbuben dankbar für das Bonmot. Jules wandte seine Augen beschämt zum Hause hinauf, aber seine Mutter war nicht daheim. Sie pflegte im Kloster die kleine Berthe. Madame Blanche fürchtete für sich die Ansteckung.
    »Merde Napoléon!« brüllten die

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