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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Schulkind nach Beendigung seiner Aufgabe setzt er sich wieder teilnahmslos auf seinen Dreifuß. Die Bäume lauschen, zwei kleine Vögel klagen zueinander, der Mond schifft langsam zur Höhe. Die guten eifrigen Bürger hier an ihrem Tische sehen nachdenklich einander an. Sie fühlen dumpf, daß sie Gefahr laufen, zwischen der mächtigen und sanktionierten Kraft der Kirche und der noch unbestätigten, aber frischeren und ebenso unbedenklichen Kraft des Arbeitertums mitleidlos plattgequetscht zu werden, wie die Flintenkugel zwischen Hammer und Zünder.
    Man war bereits zu jenem Punkte der Erregung gelangt, da jeder sich bemüht, seinen eigenen Charakter dem andern zu erklären, als vom Haufe her eine breite, ruhige Gestalt auf dem nun nur noch vom Laternenschein erhellten Sandwege sich zeigte. Es war Doktor Balde, der von einem an Masern erkrankten Söhnchen des Wirtes herkam. Man begrüßte ihn mit respektvoller Freude und zog ihn unter die Nußbaume. Man bat ihn, ein paar Worte zu sagen, die man, damit diese erste Versammlung nicht allzu nutzlos verlaufe, als eine Art Kundgebung nach Paris senden könnte.
    »Ah, une adresse de dévouement , eine Ergebenheitsadresse?« fragte Balde, und seine Mundwinkel zuckten gutmütig spöttisch.Aber er kam heran, zog seinen Notizblock und fing ohne Besinnen an zu schreiben.
    » Salut et fraternité, muß darunter stehen,« sagte ein Alter, »so gehört sich's für Republikaner.«
    Balde schrieb in französischer Sprache:
    »An das Gouvernement der Défense Nationale im Hôtel de Ville in Paris.
    Bürger! Das Volk von Paris hat die Republik proklamiert. Unsere Stadt schickt Ihnen durch das Organ der Bürgerschaft ihren Gruß und die Bitte, den Feind von unserm Boden zu verjagen durch – wenn es denn nicht anders sein kann – die Freiheit. Frankreich hat sich gerettet. Aber man lasse nicht Elsaß den Preis dafür zahlen. Die Stimmen mehren sich, die behaupten, man gehe mit dem Gedanken um, Elsaß deutsch zu machen. Diesen Gedanken bekämpfen wir Elsässer. Wir wollen, wie bisher, für Frankreich Elsässer bleiben, für das übrige Europa aber Franzosen. Wenn die Republik uns das ermöglicht, dann stimmen auch wir aus patriotischen Herzen ein: Vive la république! «
    Er riß das Papier ab. Beim Hinreichen machte er eine Bewegung des Zauderns. Was er da geschrieben hatte, war seine eigene Ansicht, sicher aber nicht die der guten Bürger, die um ihre Behaglichkeit bangten. Aber er schüttelte das ab, mochten sie doch tun damit, was ihnen paßte.
    Nach seinem Weggange las der Zahnlose laut und langsam vor. Geräuschvolle Mißbilligung erhob sich. »Passez-moi la liste,« sagte ein dicker Hauseigentümer zitternd. Dann zog er einen breiten, rachsüchtigen Strich durch Baldes Namen. Der übrige Teil der Sitzung war ein Autodafee für ihn ...
    Balde ging sorgenvoll weiter. Er dachte an die Bewachung der Maison Centrale, die ganz aufhören würde, wenn der Feind einrückte und jeder französische Soldat verschwinden mußte, kein Bürger mehr Waffen tragen durfte. Eben war er deshalb bei Quine gewesen. Der aber packte seinen Koffer. Er hatte sein Abschiedsgesuch eingereicht. Sein Aristokratentum sträubte sich dagegen, ein Angestellter der Republik zusein. Blanche war in bester Laune gewesen. Sie zeigte ihm ein Hütchen, für Thurwiller zu auffallend, das sie nun in Paris tragen würde. Sie umarmte ihn. »Lieben Sie mich ein wenig und vergessen Sie nicht Ihre pauvre Blanche!«
    Er seufzte. Alle gingen sie fort. Am liebsten hätte er selber alles hingeworfen und wäre auch gegangen. Müde war er und sehr traurig.
    Förmlich gebeugt sah er aus, wie er so dahinschritt ...
    Mitten in der Nacht gab es Lärm in den Straßen. Die nach dem Rhein Entsandten kamen zurück. Mit ihnen eine Anzahl der Franctireurs. Sie sahen aus wie Operntenöre in ihren blauen Blusen und schwarzen Sammethosen und roten Seitenstreifen. Den weichen Filz mit der malerischen Hahnenfeder trugen sie tief in die Stirn gedrückt oder befestigten ihn wie einen dunklen Heiligenschein am Hinterkopf. Betrunkenes Lachen füllte die Stadt. Man lachte über sich selbst, um den Spott zu entwaffnen. Die Schüsse in Hornburg waren Flintenschüsse gewesen, nicht Kanonen. Sie rührten von französischen Soldaten her, die sich im Scheibenschießen übten. Das Rheinüberschreiten bestand darin, daß die Deutschen ein paar alte Kähne, die auf französischer Seite standen, weggenommen hatten. Als man das sah, schoß man hinüber. Die

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