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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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reden und laufen. Ein paar Bauernwagen fuhren in ungewohntem Trab daher, Hunde bellten laut, als brachen Diebe ein. Die Häuser, die die Straße begrenzten, schienen alle leer. Auf den Gartenmauern jagten sich verwilderte Katzen.
    Zu Haus fand sie das Salmele mit rotem Kopf und aufgeregten Bewegungen. »Der Krieg isch aus,« schrie sie ihrer Mademoiselle entgegen, »se han der empereur verwitscht. Fini! «
    Françoise ging nach der Mutter Zimmer. Frau Balde saß, sehr gerade wie immer, auf ihrem Nähtischstuhl und stickte. Hortense stand am Fenster. Als sie sich umwandte, war ihr Gesicht hart und schmerzgespannt, der Mund zusammengepreßt. Sie hielt ihr Taschentuch in der Hand, aber sie weinte nicht.
    Françoise begann zu zittern. »Was ist? Was ist geschehen?«
    »Ein großes Unglück. Vierzigtausend Franzosen bei Sedan gefangen.«
    »Bei Sedan? Und dein Mann?«
    Sie achtete nicht auf die Frage. Ihre Stimme bebte, als sie sagte: »Der Kaiser hat sich freiwillig ergeben. ›Freiwillig‹ steht im Telegramm, von allen Ministern unterzeichnet.«
    »Und Armand?«
    »Was weiß ich, ob er lebt? Ob ich nur wünschen darf, daß er noch lebt? Er, der dabei war.« Wie eine Meduse sah sie aus.
    Françoise schauderte vor dieser Härte. Die Schwestern schwiegen. Seltsam traulich tickte die Uhr an der Wand.
    »Wollt ihr nicht zu Abend essen?« fragte Frau Balde, »ist es nicht Zeit?«
    Hortense rief dem Mädchen. Die Mutter sollte ihre Abendsuppe heute hier oben essen. »Sie hat es da ruhiger.«
    »Wo ist Papa?« fragte Françoise.
    »Auf dem Rathaus. Sie haben die Bilder von Kaiser und Kaiserin aus dem Saale herausschleppen wollen und zerreißen. Er läßt sie zurückbringen.«
    Ein lautes Aufrauschen kam durch die stille Gasse von der Hauptstraße her. Francis« öffnete das Fenster. Weit hallend wie der Durchbruch eines Stromes der Ruf: » Des armes, des armes .«
    Das Salmele kam hereingestürzt: »I ha so Angscht, so Angscht.«
    Man hörte lautes Sprechen einer einzelnen Stimme, irgendeine Nachricht. Dazwischen immer wieder dieses sonderbare Rauschen, wie zusammengeflossen aus all dem kleinen Plätschern und Raunen ringsum. Und jetzt ein gewaltiges Hochströmen in einem einzigen Schrei: »Vive la république!«
    Die Schwestern sahen sich an. Auch Madame Balde horchte auf. »Was rufen sie?« Sie stand auf und ging zum offenen Fenster, was sie seit jenem Steinwurf nie mehr getan hatte, sie lehnte sich hinaus. »Bravo,« rief sie hinunter.
    Françoise zog sie erschreckt vom Fenster weg.
    Das Gesicht der Mutter war heiter.
    »Es geht gegen Charles-Dix,« sagte sie dann erklärend, so die Eindrücke ihrer ersten Kindheit mit der Gegenwart vermengend. »O, ihm geschieht recht, dieser Jesuitenfreund, der!« und sie drohte. Dann ließ sie sich ihre Abendsuppe schmecken.»Komm hinaus,« sagte Hortense fiebernd und nahm schnell Françoises Arm. »Hier erstickt man. Man muß hören, sehen.«
    Es war dunkel geworden draußen, windig und kühl. Die Sterne waren da, aber kein Mond. Die Straßen, selber schwarz wie krumme Kanäle, spiegelten alles Blanke. Und Menschen überall! Menschen blinzelnd und ungewiß, wie aus Höhlen gekrochen. Hier und da eine Ansammlung, ein Redner. »Flinte müsse m'r han, fusils, des armes, « schrie es aus dem Haus.
    Bäcker-Nazi saß vor der Tür, rot zum Platzen, und redete immerfort zu einer Gruppe wilder Weiber und Kinder, die ihn umstanden und seine Witze auf den Kaiser mit Stürmen von Gelächter begleiteten. » Badinguet bon yoyage, ich wünsch 'm a gute Reis, d'r weggeloffene empereur .« Er machte einen Fußstoß in der Richtung nach Westen. »Marsch, marsch, alles plus vite que ça .«
    »Vive la république,« brüllten die Leute. Ein Zug junger Burschen lief durch die Straßen. Ihre Holzschuhe klapperten. Es klang wie ein Trupp Pferde. Sie sangen die Marseillaise und die »lampions« . Sie amüsierten sich.
    Oben am Fenster der Maison Centrale saß Madame de la Quine mit Schlotterbach jeune wie in einer Theaterloge mit Schal und Fächer und sah auf die Menge herab. Durch Hortenses hohe, fruchtbare Gestalt ging es wie ein Stoß. »Wir müssen heute Heldinnen sein und nicht Salondamen,« sagte sie laut. Ihre Wangen glühten.
    Françoise zog sie besorgt weiter fort.
    Aber Hortense machte sich von ihr los. »Der Krieg isch net fertig, er fangt erscht an. Willkommen die Republik,« rief sie mit erhobenem Kinn, als riefe sie's den Sternen.
    Man begann sich um sie zu scharen. Mit ihrem hohen Leib im

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