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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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verboten,Kartoffeln auszureißen. Biwak, taureiche Nächte, kein Stroh. Man lebt von der Eisernen Portion.«
    Françoise dachte an Armands Briefe. Sie streichelte das Buch und küßte es.
    Dann die Lazarettzeit. »Viel Arbeit, Siege Schlag auf Schlag. Alle Hände voll zu tun. Die Soldaten müssen ihre Quartiere hergeben für unsere Verwundeten.« Und immer dazwischen: »Das viele Blut, die vielen Toten!«
    Einmal erzählte er von seinem Freunde Krompholtz, dem Korpsstudenten, den man ihm ins Lazarett brachte. »Er hatte seinen Hauptmann herausgehauen. Er sprach nichts mehr. Aber zufrieden sah er aus. So zufrieden. Mich kannte er noch. ›Fleißiges Bienchen,‹ sagte er und lächelte.«
    Dann kamen wieder Stellen, die Françoise empörten. Hummel schalt gegen die Franctireurs, »ungesetzliche Banden, die aus dem Hinterhalte schießen und die Leute in den Quartieren morden. Eine feige Verletzung des Völkerrechts.«
    Françoise ließ das Buch sinken. Ja, verstand er denn nicht, daß man sich verteidigt? Recht oder Unrecht, wenn es an das Heiligste geht, das man besitzt, setzt man sich zur Wehr.
    »Man bringt oft Kinder ein,« las sie dann weiter, »die man nicht erschießt, sondern prügelt und dann laufen läßt. Viele Frauen.«
    Roh klang das. Das Wort Barbaren kam ihr in den Sinn. Da kam sie auf den Satz, der sie nachdenklich machte: »Ich lerne die französische Nation, die ich so bewunderte, in trauriger Erniedrigung und in all ihren rohesten Instinkten kennen.«
    »Den ganzen Tag beschäftigt auf dem Schlachtfelde,« las sie dann weiter. »Eine Chassepotkugel prallte ab an der Kapsel, in der ich meine Ähre und die Totenmarke trage.«
    Die Ähre! Sie schloß die Augen. Wenn das neue Brot gebacken würde, hatten sie es zusammen essen wollen. Aber nun würde es deutsches Schwarzbrot sein, das man hier backte, auf einem Boden geerntet, der von Blut dampfte.
    Heinrich schilderte den Tag von Gravelotte.
    »Gegen drei Uhr im Dunkel der Nacht durch Alarm geweckt. Langgezogene aufregende Töne. Eine glühende Kugel überdem Gesichtskreis: die Sonne. An einem Platz vorbei, an dem Gottesdienst gehalten wurde, bedeckt mit weggeworfenen Spielkarten. Französische Lager, in Eile verlassen. Neben Eßsachen und Tornistern falsche Locken und Damenkleider. Bleihagel der Chassepots, das Knarren der Mitrailleusen. Und schon Wagen voll Verwundeter. Wir folgen der Schlacht mit unseren Wagen, Felder mit Menschenleibern besät. Telegraphendrähte, von Granaten zerrissen, fallen über die Straßen und hindern den Durchweg. Wir arbeiten. Ich lasse meinen Medizinkarren herankommen und richte einen Verbandplatz ein. Krankenträger, Lazarettgehilfen. Von allen Seiten ruft es aus der Erde: ›Ein Arzt! Au secours! ‹ Ich schnitt die Kugeln aus, hörte Granaten pfeifen und wühlen. Zwei Gehilfen werden neben mir zerrissen.«
    Françoise stöhnte. Schossen sie also wirklich auf das Rote Kreuz, diese französischen Barbaren?
    »Unser Bataillon, vorgerückt, liegt wie festgenagelt am Horizont, ein schmaler dunkler Streifen. Ab und zu von dort das laute Hurra unserer Leute. Die verwundeten Franzosen hier halten sich die Ohren zu. Ich arbeite weiter. Das Gesicht blutbefleckt, die Arme in Blut getaucht. Als der Hornist drüben noch einmal ›Das Ganze avancieren‹ bläst, kommt etwas Unvergeßliches. Unter den Leichenhügeln erheben sich die noch Lebenden und strecken die Arme aus. Die Leichtverwundeten versuchen aufzustehen, um mitzukämpfen.«
    Françoise schloß die Augen. Tränen strömten ihr ins Gesicht. Aber sie ließ das Buch nicht von sich.
    »Der Tag geht weiter. Hin und wieder blicke ich von einem Verwundeten auf und sehe meinen Bataillonsführer. Als es zu dunkel ist, um weiterzuarbeiten – etwa zu der Zeit, da die Schlacht entschieden war –, nahm ich meinen Rückzug von dem Schlachtfeld nach dem Hauptverbandplatz zu. Meine Krankenträger waren bereits dorthin aufgebrochen. So trug ich denn selber unterwegs einen oder den anderen der Verwundeten eine Strecke, bettete ihn an Plätze, wo der Samariterwagen ihn finden konnte, holte wohl auch einem Totendie Flasche weg für den Lebenden und verlor so in der Dunkelheit völlig die Richtung meines Bataillons. Einen blonden schönen Jungen, einen hessischen Jäger, den ich in einem hin und her eroberten Schuppen vorfand, trug ich lange auf dem Rücken. Er schrie wie ein Kind nach seiner Mutter, und zwar auf französisch: ›Maman, maman.‹ Während seine Arme um meinen Hals lagen,

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