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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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erkalteten sie. Er hielt sein Butterbrot noch in der Hand. Die Kugel hatte ihn mitten im Vespern gestört. Einer von seinem Regiment, den ich aufsuchen ließ, wußte, der Gefallene sei ein Enkel des Generals von Stein im deutschen Generalstab. Sein Hauptmann hat dorthin Nachricht gesandt.«
    Da aber konnte Françoise sich nicht halten. Schluchzend vor Freude lief sie hinüber zu Vater und Schwester. »Er ist es gewesen, er hat Germain von Meckelen aus der Schlacht getragen.«
    Aber die beiden sahen sie an wie eine Unbegreifliche.
     
    Der Krieg war nicht aus. In Frankreich nicht und nicht Elsaß. Hier ging er erst recht an. Selbst im Oberelsaß, das von den wirklichen Schlachten verschont geblieben war. Und war man bisher nur Zuschauer gewesen und kaum beteiligt, so fand man sich jetzt mit den Unterelsässern zusammen in dem Bewußtsein, die Hauptrolle zu spielen in diesem Kriege. Würde wirklich Frankreich sich dadurch retten, daß es Elsaß im Stich ließe? Es gab Leute, die mit geballter Faust umhergingen und auf Frankreich fluchten. Die meisten aber fanden jetzt eine große heroische Geste des Patriotismus, die ihnen sonderbar zu Gesicht stand. In den Rebgegenden befeuerte der süffige Heurige die Gemüter noch mehr, es kam zu bösen Szenen zwischen den Dörflern und durchziehenden Soldaten, die von der deutschen Regierung hart bestraft wurden. Die Bevölkerung, im Grunde friedliebend und lachlustig, fand schließlich den Ausweg des spottenden Widerstandes gegen die neue Gewalt. Die Frauen trugen blaue und rote Blumen auf ihren weißen Hüten, so die französischen Landesfarben nachahmend, die Männer Schlipse von denselben Farbenunter ihren zugeknöpften Röcken, die sie dann hinterm Rücken der Offiziere oder der neuen deutschen Beamten plötzlich aufklappten; bei den Ihren erweckten sie brüllendes Gelächter damit. Man wurde solcher kindlicher Späße nicht müde. Die Strafrequisitionen, mit denen die deutsche Regierung die Unbotmäßigkeiten der Bevölkerung regelmäßig zu erwidern pflegte, machten sie nur noch pikanter und wilder.
    Daneben aber schimpfte man ausgiebig über die französische Armeeleitung. Herrenlose Hunde, die sich da und dort herumtrieben und von den Bauern mit Steinwürfen verjagt wurden, taufte man Bazaine, selbst Napoléon.
    In den streng katholischen Landtälern aber fand man andere Schuldige. Dort war man überzeugt, daß die Roten Frankreich an den Feind verkauft und Napoleon verraten hätten. Man verfluchte die Republik und forderte stürmisch die Wiedereinsetzung Napoleons. Alle, die als Republikaner verdächtig waren oder sich dem Deutschen Zollverein anschlossen oder als laue Katholiken galten, wurden bedroht. In Gebwiller und St. Amarin kam es zu geregelten Überfällen gegen ein paar mißliebige Industrielle.
    In Thurwiller hatten alle diese Strömungen gleichfalls Vertreter. Einzig Balde hatte es fertiggebracht, sich alle Parteien gleichmäßig zum Feinde zu machen. Er schimpfte nicht gegen Napoleon. Er war kein eifriger Katholik. Er verteidigte die Roten, wo er sie als achtbar und tüchtig betraf, und man kannte die Sätze, die er im Garten der »Zwei Schlüssel« geschrieben hatte, und die allen Parteien eine Absage bedeuteten.
    Gerade diese Parteilosigkeit aber war es vielleicht, die ihn nach wie vor zum Treffpunkt machte für alle, die sich auszusprechen wünschten gegeneinander.
    So brachte ihm das Salmele eines Tages eine goldgeränderte Visitenkarte herein: »Léon Cerf, Bâle.« Der ehemalige »Napoléon« hatte sich republikanisch abgekürzt. Er trug einen demokratischen Havelock und rustikale völkische Stiefel.
    Françoise fragte, wie es Victor Hugo in Basel ginge, von dem man seit lange keine Nachricht hatte. Sie erfuhr zu ihremSchrecken, daß der junge Mensch von den Gastfreunden weg und aus der Stadt verschwunden sei.
    Ob denn Frau Schlotterbach schon davon wisse? fragte Hortense.
    Cerf zuckte die Achseln. Er habe ihr die böse Nachricht anfangs gar nicht überbringen wollen – er war Hausgast bei Schlotterbachs –, einmal aber sei ihm versehentlich eine Andeutung entwischt. Die arme kleine Madame sei sehr unglücklich. Man habe große Mühe sie zu trösten. »Pas gai, pas gai,« wiederholte er ein paarmal.
    Balde nahm Bleistift und Papier. Er ließ sich die Adresse der Gastfreunde in Basel geben, forderte eine genauere Angabe der Plätze, wo man den Knaben zuletzt gesehen habe, und nickte Françoise ermutigend zu dabei.
    Léon Cerf hatte inzwischen

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