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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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oder Eltern oder Brüder oder Weib oder Kinder um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfältig wiederempfahe in dieser Zeit, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.«
    Die unbekannten Worte, von den fremden, lauten Stimmen eintönig herausgeschleudert, schienen Orakelsprüche voll geheimnisvoller Kraft. Françoise schluchzte laut auf. »Der ein Haus verlasset!« Sie fühlte sich eins mit dem Schicksal der Toten wie noch nie.
     
    Die Hauptstraße hatte wie auf Verabredung die Fensterläden geschlossen, als die deutsche Einquartierung einrückte. Kein Mensch ließ sich sehen. In den Stuben aber stand man auf Fußbänken und Stühlen und lugte durch die Spalten. Trommeln hörte man, die entsetzlichen Querpfeifen und das »Vaterland«, und plötzlich war die ganze Straße voll Stampfen, Brüllen, Klirren. Scharfe deutsche Befehle pfiffen wie Peitschenhiebe durch die Luft, zackige Bewegungen gingen durch die Reihe. Alles rasch und wuchtig. In zwei langen Reihen standen sie jetzt in der Hauptstraße, in Straßenmitte Pferd an Pferd, längs den Häusern die abgesessenen Leute. Die Gewehrläufe bildeten einen breiten, blitzenden Streifen in der Luft, die Hände einen braunroten an den weißen Hosen.
    Ein paar Offiziere auf schönen Pferden, den Arm in die Hüfte gestemmt, blickten streng aus hellen, ruhigen Augen. Ein Fahlblonder gähnte unter seiner Hand.
    Im »Bourdon d'or« stand Mutter Amélie gefährlich balancierend auf einem Fußschemel, vom Brigittle mit beiden aufgehobenen Armen von hinten unterstützt, und lugte durch die Ladenspalte, wahrend Camille Bourdon sich im Hintergrunde hielt.
    Draußen ging jetzt ein dicker, bärtiger Mann mit Brille, dem der Uniformrock über dem Bauch zu eng war, von Soldat zu Soldat. In einem Nu hatte jeder einen kleinen weißenZettel in der Hand, an dem er studierte. Jetzt marschierten sie los mit hin und her pendelnden Armen, die Beine hochgeworfen, »als wollten sie sich in zwei Stücke reißen,« sagte das Brigittle.
    »Psst, psst,« machte der alte Camille ängstlich, »net a so laut.«
    Unten ging alles weiter im Takte, ohne Übereilung. Man hörte Lachen und Schimpfen, badische Schimpfworte. Das Salmele hüpfte auf, daß die weiche Masse ihrer Herrin fast zu Boden gefallen wäre. »Des sin jo Badenser, die mache uns nix.«
    Von neuem klirrende Hufeisen und schwere Stiefel, ein Rhythmus, der mitriß. Etwas Herrisches, Furchtbares lag darin. Man konnte sich vorstellen, wie man sich zerstampfen ließ von diesem gewaltigen Takt. Aber das Brigittle wiederholte getröstet: »Badenser sin's, die mache uns nix.«
    Madame Bourdon fuhr auf. Es hatte einer von draußen an die Läden gepocht, und jetzt trat der Dicke, Bärtige in die Haustüre. Man hörte ihn im Flur. »Einquartierung,« rief er mit lauter Stimme. Er kündete an, daß außer ihm noch ein Leutnant und zwei Mann kommen würden. Dann trat er stampfend und bolzengrade zurück, daß dem Brigittle schon das Lachen wieder in die Kehle stieg.
    Der kleine fahlblonde Leutnant erschien.
    Bourdon verbeugte sich beflissen vor ihm. »Depêche-toi,« sagte er zum Brigittle, »beeile dich, führe d'r Herr in die chambre von meim deutsche neveu. Depêche-toi, nom d'un nom,« – er war sehr aufgeregt.
    Das Brigittle grinste breit, als sie dem Quartiergast voranging. Madame Bourdon sah den Dreien nach. »Hasefuß,« murmelte sie verächtlich gegen ihren Eheherrn. Dann ging sie in die Küche. Und bald briet und backte sie mit dem Brigittle zusammen so voll Lust, als gelte es dem eigenen Sohne.
    Auch die übrigen Thurwiller vermochten ihre Feindschaft dieser vertrauten und verwandten Art gegenüber nicht festzuhalten. Gleich am ersten Tage hatte ein Soldat einem kleinen Mädchen seine Hand entgegengestreckt, um ihm ein TäfelchenSchokolade zu geben, das er bei sich trug. Die Mutter hatte es dem Kinde aus der Hand gerissen und das Geschenk in den Schmutz geworfen. Mit funkelnden Augen sah sie auf den Soldaten. Sie kam sich heldenhaft vor. Der aber bückte sich, »schad' um die liebe Gottesgabe«, da mußte die Mutter lachen.
    Jeden Tag gewöhnte man sich mehr an die neuen gemütlichen Feinde. Man brachte ihnen Wasser, wenn sie heiß und verstaubt vom Marsche kamen, und man brachte ihnen Schnaps. Das aber verboten die Unteroffiziere. Nun bedauerte man die Leute. Man bedauerte sie auch wegen des barschen Tons, den die Vorgeordneten gegen sie anschlugen. Man begriff nicht, daß sie sich nicht unglücklich fühlten deshalb. Man nahm

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