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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Himmel, Helm und Bart glänzten weich und freundlich. Über Françoise kam jedesmal, wenn sie ihn sah, ein Schauer von Haß. Genau so würde Heinrich Hummel ausgesehen und gehandelt haben in der gleichen Lage. O, sie waren gerecht, diese Deutschen, tadellos und unbestechlich. Aber siehatten kein Herz. Und die im Geheimsten ihrer Seele niemals verziehene Demütigung, die Heinrich ihr angetan, stieg brennend in ihr auf.
    Balde unterhandelte im Ordinationszimmer mit dem alten Schlotterbach, dem er seine Papiere und die vorläufige Sorge für die Stadt übergab. Bourdon sollte ihm helfen. Der alte Mann hatte rote Augen, als er jetzt mit Balde herauskam.
    Inzwischen war der kleine Flur gefüllt mit Menschen. Da waren die Schlotterbachs mit ihrer Tochter Virginie, einem hübschen, wohlgewachsenen jungen Mädchen, das sie aus dem Kloster heimgerufen hatten. Die ganze Familie Bluhm war da und Frau Bourdon. Ihr Mann sowie Cerf hielten sich vorsichtig fern.
    Draußen im Vorgarten standen sie Kopf an Kopf. Alle Hände erhoben sich zum Gruß, als der Maire ans Fenster trat. Viele weinten. Unter ihnen gerade die, denen er nicht kaiserlich oder nicht päpstlich oder nicht Republikaner genug gewesen war, und die deswegen gegen ihn gehetzt hatten. Die Blicke, die sie auf die Soldaten ringsum warfen, mit denen sie sich bereits befreundet hatten, waren jetzt voll Haß. Die Unterdrücker waren es, es war der Feind. Ein neuer Zug war in all diese derben, massigen Elsaßgesichter gekommen, ein Zug verbissenen Wartens. Es konnte ja nicht lange dauern, da war man wieder unter sich. Gambetta, Garibaldi! Cerf hatte gute Arbeit gemacht, man wußte, was sich vorbereitete in Frankreich.
    Der Offizier da auf seinem Pferde zog die Uhr. Mit hellen, herrischen Augen sah er aufmerksam auf die Erregten. Balde lehnte sich zum Fenster hinaus. Er wollte sprechen.
    »'s isch racht, daß ihr noch amol kumme sin für euerm maire a bon voyage z'wünsche,« sagte er dann in seiner gewohnten, halb scherzenden Weise. »A changement d'air in dere Zitt wär' halt net grad mine intention g'si, un m'r muß hoffe, daß d' excursion net gar so lang wird. Awer wann i d'rno wieder do bin, wird viel changiert han do im Ländle. Euer maire bin i jo wohl d' längscht Zitt g'si. Tant pis, tant, mieux! M'r hett m'r net grad d'Händ unter d'Füß breitet do in Thurwiller – un mit euerm entêtement , un alle misères , wo ihr mirg'macht han, han ihr 's au fond net emol bös gmeint. Das isch's Ärgschte! Schwere Zitte kumme jetz für euch, un do sollen ihr ferme dra denke, was euer alter maire zu euch gsait hett: Haltet Ordnung! Ordnung git courage . Haltet Ordnung inwendig in euch, un Ordnung vis-à-vis vom gouvernement, n'importe was für eins.«
    Der Offizier räusperte sich. Er drängte sein Pferd heran und hob warnend gegen Balde die Hand. Der zog fast schalkhaft die Uhr und zeigte sie dem Offizier.
    »'s isch Zitt, mon lieutenant. Et maintenant « – Baldes Fuß klopfte die Erde, diesmal um eine Rührung zu meistern, die ihm feucht zu Augen stieg – »Adje binander.« Er hob die kleine Désirée auf, die an der Hand des weinenden Salmele erschrocken bei ihm stand, grüßte die Töchter mit der Hand, und ehe sich die Leute draußen dessen versahen, war er vom Fenster verschwunden. Auch der Offizier saß wartend auf seinem Pferde. Balde aber war mit schnellen Schritten durch den Garten nach den Gemeindefeldern gegangen und schickte von da einen Buben mit einem Zettelchen an den Offizier nach vorn, man möge Wache und Wagen zu ihm schicken. Er habe, um Aufstand zu vermeiden, die große Straße nicht benutzen wollen.
    Alles das war so rasch geschehen, daß selbst Hortense und Françoise nichts davon gemerkt hatten. Gerade als sie begriffen, fuhr ein Wagen vor. Das Füeßlische Gespann. Pierre Füeßli stieg aus. Er hatte, eben erst von der Front mit seinem Hilfszug zurückgekehrt, den Brand und Madame Baldes Tod erfahren und war gekommen, nach den Freunden zu sehen.
    »Was geschieht hier?« fragte er, da er die Menschenmenge sah.
    Hortense fiel ihm um den Hals und küßte seine beiden Wangen, Françoise reichte ihm die Hand. Er nahm sie nicht in seiner tiefen Erschütterung, er blickte sie nur an, wie sie in ihrem blonden Knabenhaar, das sich an den Spitzen lockte, bleich und überschlank geworden vor ihm stand, ein fremder Ausdruck von Erstarrtsein in den Augen.
    »Jetzt bin ich da,« sagte er endlich markig und laut. »Jetzt werde ich für Sie sorgen.«
     
    Als eine

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