Die Verborgene Schrift
sich ihm anzuschließen? Unter seinem Schutze mitzureisen? War sie nicht Krankenschwester? Konnte sie nicht helfen dort? Pflegen, ordnen, lindern? Und dabei in Heinrichs Nähe sein. Und dann würde sie Heinrich alles erklären, sich mit ihm aussprechen. Gut zu ihm sein und den Abschied für sie beide zu etwas Schönem machen.
Ja, das wollte sie.
Nun kam Ruhe über sie. Aber schlafen konnte sie nicht. Sie ging nach dem Garten hinunter, sich zu erfrischen. Unter der Haustür stehend, sah sie eine Bewegung da im Dunkeln unter den Bäumen – ein Mensch, der langsam hin und her schreitet. Nach der Höhe zu urteilen, in der die Büsche sich bogen, konnte es nur Pierre sein. Das war ihr lieb. Jetzt gleich wollte sie ihn fragen, ob er sie mitnehmen könne. Ihr Plan, eben erst entstanden, war so fertig, als habe sie ihn lange schon in sich getragen. Sie ging langsam. Ohne Aufregung folgte sie dem Geräusch von Pierres Schritten, die jetzt auf die Kastanienallee zugingen, ihr entgegenkamen. Die Nacht war schwül. Ab und zu ein zuckendes Wetterleuchten zwischen den vom Brande verstümmelten Bäumen. Françoise genoß es, daß sie so ruhig war. Im Rondell hielt sie an und wartete. Sie stellte sich so, daß er sie sehen mußte, wenn er näher kam, gerade in die Mitte. Sie wollte ihn nicht erschrecken.
Dennoch fuhr er zusammen, als er sie, ganz nahe schon vor ihm, erblickte.
»Sie können auch nicht schlafen, Mademoiselle Balde? Ja, die Gewitternacht, nicht wahr? Man schläft nicht sehr gut in solcher Gewitternacht.«
Sie sah ihn freundlich an, weil er sich so abmühte. »Ich sah Sie im Garten,« sagte sie, »und ich habe hier auf Sie gewartet, um mit Ihnen zu sprechen.«»Mit mir?«
Françoise, von ihrem einzigen Gedanken besessen, achtete nicht auf den Ton der Freude in seinem Ausruf. Sie fuhr fort:
»Ja, ich will nach den Kampfplätzen reisen, nach Nancy und Toul. Ich denke, man kann da – –« Einen Augenblick schwankte sie, ob sie ihm alles sagen sollte. Aber welche Worte hätte sie finden können, ihm ihr Handeln begreiflich zu machen! »Sie wissen,« sagte sie dann, »ich habe schon als Krankenschwester gearbeitet, ich denke, man kann da viel helfen.«
Die Antwort ließ lange auf sich warten. Es war in diesem Augenblick so dunkel, daß Françoise glauben konnte, sie stehe allein da unter den Bäumen. Von fern rollte ein Donner, ohne daß man das Blitzen bemerkt hätte. Als jetzt Füeßlis Stimme zu reden begann, war es aus größerer Entfernung als vorhin. Er mußte weiter weggegangen sein.
»Sie wollen nach den Kampfplätzen reisen,« sagte er, »und ich soll Sie dorthin begleiten. Sie dürfen mir nicht böse sein, wenn ich mich in diese Vorstellung nicht so schnell finden kann. Aber das natürlich würde niemals ein Hindernis bilden für meine Bereitwilligkeit. Ihre Absichten sind bewunderungswürdig und heroisch, nur –«
Françoise errötete. »Ich bin eine Selbstsüchtige,« murmelte sie.
»Nur glaube ich nicht,« fuhr Pierre fort, »daß Madame Dugirard jemals eine so beschwerliche und gefahrvolle Reise für ihre Schwester zugeben würde. Eine einzelne Dame –«
»O, meine Schwester ist nicht verantwortlich für mich, und ich bin ja unter Ihrem Schutze, Monsieur Füeßli.«
»Gerade das ! Françoise!« Er war jetzt nahegekommen und hatte ihre Hand gefaßt, die er preßte. Sie achtete nicht darauf, fühlte es kaum.
»Ich kann nicht in Gérardmer sitzen und Frieden spielen,« stieß sie hervor. Ihr ganzes Wesen bebte in Angst, den Helfer zu verlieren, der sie zu Heinrich bringen konnte. Sie faßte mit beiden Händen seinen Arm. »Nehmen Sie mich mit, Pierre, ich will Ihnen mein Leben lang dafür dankbar sein.«»Ihr ganzes Leben lang?«
Nun erschrak sie doch vor dem dunkel drohenden Ton, den sie aus ihm herausgerissen hatte, und den sie nun wieder zu beschwören trachtete. »Ich würde Sie nicht stören auf der Reise, Monsieur Füeßli,« sagte sie ruhiger. »Sie und die anderen Herren, die Sie da mit sich haben. Sie wissen, wir Krankenpflegerinnen schicken uns in alles. Das gehört zu unserem Beruf.«
Pierre schien kaum hinzuhören auf das, was sie sagte. »Mademoiselle Balde kann nicht allein in die Welt hineinfahren,« sagte er eigensinnig, »Madame Dugirard wird es nie erlauben, und ich – ich will es auch nicht!«
Françoise versuchte es mit einem leichten Lachen. »Oh?« sagte sie spöttisch.
»Ja, ich will nicht, daß die Frau, die ich liebe, ihren Ruf aufs Spiel setzt, sei es auch mit
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