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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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sich. »Laß es immerhin zuerst nur eine Form sein, meine Schwester, ihr seid beide jung. Er liebt dich, du hast geliebt. Dein Herz ist weit geöffnet. Glaube mir, die Form wird Wahrheit werden.« Damit ging sie.
    Françoise sah ihr nach. Sie setzte sich an den Tisch und schrieb an Pierre. Viele Anfänge. Jeder begann mit den Worten: »Ich liebe einen andern.«
    Als sie noch so saß, ließ Pierre sich melden. Er wollte sich Antwort holen. Sie ging hinüber in die Bibliothek, ihn zu empfangen.Sehr kühl war es da und ein wenig dunkel. Blutrotes Herbstlaub, hinter dem die Sonne stand, gab grelle Farbe in dem ruhigen Raum. Pierre stand gegen das Fenster, geschlossen, ruhig.
    »Sie sind so gut, Pierre Füeßli,« begann Françoise flattrig, »aber ich kann nicht Ihre Frau werden, ich achte Sie, aber ich liebe Sie nicht.«
    Erstaunt sah sie zu ihm hinüber, weil er nicht antwortete. »Ich kann nicht Ihre Frau werden, weil ich Sie nicht genug liebe,« wiederholte sie.
    Ein dunkles ruhiges: »Ich weiß es,« kam vom Fenster her.
    »Nun ja, aber dann –«
    Er war jetzt nähergetreten. Sie sah sein Gesicht, das sich mühte, Ruhe zu zeigen, und das ihr in diesem Augenblick sehr schön vorkam.
    »Es werden meistens«, sagte er, »Ehen hierzulande so geschlossen, daß das Mädchen noch nicht liebt. Sie hofft es zu lernen in der Ehe. Und ich – Françoise« – er bewegte willenlos die Lippen zu ihrem Namen – »ich, ich liebe Sie so sehr, daß es genug ist für uns beide.«
    Da sie eine Bewegung machte, wie sich weiter zurückzuziehen, fand er, in der Furcht sie zu erschrecken, einen leichteren, fast humoristischen Ton; vorerst nur als ein Werkzeug, wieder ihr Vertrauen zu erringen. »Übrigens, Mademoiselle Balde – ich bin nicht besonders bescheiden – ich traue mir zu, meine Frau das Lieben zu lehren.«
    Das erhoffte Lächeln blieb aus. Irgend etwas in ihrem Gesicht, das sie jetzt zu ihm emporwandte, erschreckte ihn.
    »Oder lieben Sie einen anderen?« fragte er.
    »Ich werde niemals heiraten.«
    »Sie lieben einen anderen?«
    Sie senkte den Kopf.
    »Einen verheirateten Mann also!« Wie im Grimm machte er ein paar Schritte durchs Zimmer. Dann blieb er vor ihr stehen. »Sie armes Kind!« Er streichelte ihre Hände, die sie ihm ließ. Plötzlich begann sie heftig zu schluchzen. SeinStreicheln tat ihr gut und furchtbar weh, wie die pflegende Hand, die sich um eine Wunde müht.
    »Nun wissen Sie es also,« sagte sie weinend, »nun gehen Sie.« Sie hatte ihre Hände befreit und bedeckte ihr Gesicht damit. Er machte eine Bewegung, als solle sie ihn nicht stören in einer peinvollen Überlegung. Man sah, wie seine Gedanken arbeiteten in ihm. Sein Blick war geradeaus gerichtet wie bei Menschen, die ein Ziel sehen und geduldig, mühsam sich ihm nähern.
    »Sie werden heiraten,« sagte er dann langsam, »später, eines Tages. Und Sie werden dann den ersten heiraten, der Ihnen das bequem macht. Das ist es. Das wird kommen. Denn Sie sind nicht geschaffen dazu, für sich allein zu leben. Nein, das sind Sie nicht. Sie können ja nicht anders als glücklich machen und sich lieben lassen.«
    Sie trocknete die Augen. »O, man kann doch auch für andere – man kann helfen –« Sie glaubte selbst nicht ganz an das, was sie sagte. Jedes Wort aber seiner Rede überzeugte sie. Denn es waren die gleichen Gedankengange, die in ihr selber lagen, fertig und bereit, gedacht zu werden; nicht heiraten, niemals eigene Kinder haben, das Leben der anderen mitleben, geschätzt vielleicht von ihnen, vielleicht auch nur geduldet! Die Erwartung einer solchen Zukunft war es, die den tiefsten Grund bildete für das unsägliche Mitleid, das sie mit sich selbst hatte, und das jetzt in ihren Tranen strömte.
    Endlich faßte sie sich, nahm ihr Tuch von den Augen und lächelte Pierre zu, dessen Blick sie die ganze Zeit her über sich gespürt hatte. Er war jetzt nah bei ihr. Sie bog sich zurück, weil er seinen Arm leicht um sie legte; aber er wollte sie nur vor den Spiegel führen: »Schauen Sie da hinein, Mademoiselle Balde! Ist das eine Frau, die unverheiratet bleiben kann?«
    Unwillkürlich aufmerksam betrachtete sie ihr Bild, das ihr, mit rotgeweinten Augen zwar, aber jung und weiblich rätselvoll entgegenblühte.
    Sie wandte sich ab.
    Pierre, ihr gegenüber neben dem Spiegel stehend, las ihre Gedanken. »Ja, Mademoiselle Balde, Sie sind eine viel zureiche, viel zu gesunde Frau, um Ihr ganzes Leben lang sich von einem Gefühl verzehren zu lassen, für das

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