Die Verborgene Schrift
es keine Erfüllung gibt, wie Sie mir sagen.«
Sie lächelte schwach. »Was für ein geschickter Anwalt Sie sind, Monsieur Füeßli! Aber ich darf mich nicht von Ihrer Beredsamkeit betören lassen. Es wäre unrecht. Unrecht gegen Sie selbst.«
Jetzt lachte er. Ein ganz wirkliches, fröhliches Lachen.
»O, das lassen Sie nur meine eigene Sorge sein, liebe Freundin. Ich werde mich nicht zu Schaden bringen, seien Sie sicher. Sie sind nicht imstande, einen unglücklich zu machen, der um Sie herum sein darf. Ich denke natürlich die ganze Zeit über nur an mich und mein eigenes Glück, aber es trifft sich herrlich, daß ich gerade damit auch das Ihre fördern darf, Mademoiselle Balde. Denken Sie doch nur an alle die Pflichten, die diese Heirat Ihnen aufbürden würde. Sie, die Sie Pflichten so lieben: der Haushalt, die Fabrik, die Frauen und Mädchen, die man erziehen und behüten muß –«
Françoise erhob sich aus dem Sessel, auf den sie sich eben niedergelassen hatte. »Ich freue mich, daß Sie so guter Laune sind, Monsieur Füeßli.«
Er faßte sie voll Leidenschaft am Arm, als fürchte er, sie wolle ihm entfliehen. »Françoise, Françoise.« Es klang wie eine angstvolle Beschwörung.
»Meine Liebe würde eine Mauer um Sie ziehen,« sagte er dann sehr ernst. »Nichts Häßliches und Böses soll an Sie herankommen können. Alles Quälende müßte draußen bleiben. Françoise, kommen Sie zu mir! Niemand kann Sie so von Grund aus liebhaben, wie ich das tue. Niemand.« Er redete noch lang, heiß und stoßweise vor sie hinsprechend, ohne sie anzusehen, nur immer ihre Hand betrachtend, die jetzt in der seinen lag und sich wie willenlos von ihm umschmeicheln ließ. Endlich, weil sie so seltsam unbeweglich blieb, blickte er auf. »Françoise, hören Sie mich denn? Warum starren Sie so?«
Sie hatte« wirklich lange schon nicht mehr auf ihn geachtet. Eine Mauer. Immer noch dachte sie an dem einen Wort herum. Eine Mauer. Das war es! Das brauchte sie.Trug sie eist einmal Füeßlis Namen, dann war sie gefeit. Auch gegen sich selber.
»Ich will es tun,« sagte sie plötzlich laut. »Ich will annehmen, was Sie mir schenken. Und ich verspreche Ihnen« – ihre Stimme brach. »Alles, was ich noch an Güte und Freude in mir habe, soll Ihnen gehören,« murmelte sie dann.
Pierre war still geworden. Sein Gesicht sah aus wie von irgendeinem Schmerze nach den Seiten gezerrt, flacher als sonst, und zwischen dem dunklen Bart waren die Lippen auf einmal blaß.
»Ich hatte gedacht,« sagte er leise und ein wenig heiser, »ich hatte gedacht, mein Glück würde anders zu mir kommen, froher, aber« – er richtete sich kräftig auf – »es soll mir willkommen sein, wie Sie es schenken.«
Sie reichte ihm schweigend zwei kalte zitternde Hände, die er küßte. »Sie müssen Geduld haben mit mir.«
»Ich werde es,« sagte er ernst.
Dann trennten sie sich mit einem Händedruck. Pierre wollte alles Notwendige zur Trauung einleiten.
Virginie Schlotterbach hatte sich bereit erklärt, Françoises Stelle in Gérardmer bei Hortense einzunehmen. Das junge Mädchen war froh, von Thurwiller wegzukommen. Sie hatte Pierre Füeßli, den die Eltern ihr im stillen zum Mann bestimmt hatten, weil die Verhältnisse zusammenpaßten, ein einziges Mal gesehen und eine heftige Neigung zu ihm gefaßt. Da sie ihn nun an Françoise gebunden wußte, war ihr die Stadt verleidet, in der sie sich schon als glückliche Frau gesehen hatte. Die Gegenwart der Eltern, die ihr ein verdrießliches, enttäuschtes Wesen zeigten, peinigte sie. Das Haus war sowieso für eine erwachsene Tochter wenig eingerichtet. So gab sich Virginie mit Eifer den Vorbereitungen für Gérardmer hin.
Auch Françoise war tätig. Aber alles, was sie anordnete und tat, erschien ihr selber wie in Traum getaucht. Ihre Hände hatten nicht das Gefühl wirklicher Berührung, wenn sie Dinge wegräumte oder einpackte. Ihre Stimme kam wie von weither.Die Fahrt nach Mülhausen bei strömendem Regen, die Trauung dort beim Maire, die Glückwünsche der Füeßlischen Familie nach der Zeremonie – alles das glitt an sie heran und glitt weg von ihr wie graue Schleier.
Dann fuhren sie nach Gérardmer. Voran Hortense mit Françoise, Désirée, Virginie und dem Salmele in Hortenses Reisewagen, ein Stück hinter ihnen Pierres großer Ambulanzwagen, der die Geschenke an die Truppen enthielt, Medikamente, Verbandzeug und Lebensmittel, und in dem er selbst mit seinen Gehilfen saß. In Hortenses Wagen wurde
Weitere Kostenlose Bücher