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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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pas de quoi! Il n'y a pas de quoi! 's isch net so gefährlich do in Thurwiller. D' Litt wisse salwer net, was sie wolle. Sie mache nur mit, was ihne in Mülhuse vorgemacht wird. Voilà, tout! «
    Seelenruhig steckte er sich eine kurze Pfeife an und paffte vor sich hin. Bourdon stellte ihm seinen deutschen Besuch vor. Der alte Schlotterbach nickte ihm zu.
    » Eh bien, jeune homme , Ihne wird's scho g'falle do im Ländle, do isch's anderlei als dort owe, wo noch im juin der Schnee liegt.« Er schien Hummels Berichtigung nicht sehr zu glauben: » Chancun prêche pour sa paroisse! Jedwederer hebt halt seine patrie in d'r Himmel.«
    Er wischte sich mit einem kanariengelben baumwollenen Taschentuche den Schweiß vom faltigen Halse. Dann nahm er seine Perücke ab: »Excusez« und zeigte einen klugen gebräunten Schädel, der seinem Gesicht etwas Ehrwürdiges gab.»Ist mein Schwiegersohn in der Fabrik?« fragte Bourdon.
    »In der Fawrik?« Der Alte machte eine Grimasse.
    »Die Herrschaften sind nach Nancy gefahren zum tapissier . Die junge Madame muß neue Fauteuils haben und ein canapé à la mode . Ah ja, meine Kinder sind Elegante!« sagte er zu Hummel. Er zeigte auf den ausgefransten Ärmel seines Orléansröckchens: »Vor Madame Schlotterbach fils dürfte ich mich so nicht sehen lassen!« Er lachte knarrend. Bourdon machte ein beleidigtes Gesicht. Er blieb stehen. Auch der Alte legte den Finger grüßend an den kahlen Kopf und ging.
    »Immer hat er auf meine Tochter zu sticheln, ce mufle-là, « sagte der Pharmacien, als man sich getrennt hatte. Er war sehr ärgerlich. Ziemlich schweigsam gingen sie wieder zurück, jetzt den schattigen Weg an der Ill entlang, deren verschlammtes Bett in der Hitze unerträglich stank. Es war eine Erquickung, wieder auf die Straße und den Marktplatz zu gelangen. Hummel hatte Lust, noch vor Tisch das Rathaus zu besehen. Er verabschiedete sich vor der Apotheke und versprach pünktlich um zwölf Uhr zurück zu sein.
    »Madame Bourdon würde es Ihnen nie verzeihen, wenn ihre Pastetchen und ihr gigot warten müßten.«
     
    Ratsschreiber Anselme Sartorius blickte auf den Marktplatz hinunter, auf dem eine Schar Kinder im Schatten der runden, grünen Linde spielte, die wie ein Feststrauß neben dem behelmten Treppentürmchen steht. Man hat sie im Jahre Achtzehnhundertachtundvierzig während der Zweiten Französischen Republik gepflanzt und mit einem Fläschchen des ältesten Burgunders begossen. Republik und Wein waren verdampft, aber die Linde stand noch da und breitete ihre frischen, süßduftenden Zweige den Leuten entgegen, die durch das Seitenpförtchen die steinerne Rathaustreppe emporstiegen. Jetzt zwitscherten da die Kinder der Honoratioren, die rings um den Platz herum wohnten, ihr Kauderwelsch.
    Man zählte ab, wer »renard« sein sollte. »On, don, dree,« »Quatre animés,« »Animés animo,« »Die Kapelle Santimo,«»Santimo de täpperi,« »Täpperi de Kolibri« – »0n, don, dree,« »Arrét!«
    Der Alte blickte hinunter; aber eigentlich sah er nicht viel; er tat es nur, seine kurzsichtigen Augen auszuruhen, diese großen, himmelblauen Kinderaugen, vor denen die Geschehnisse der Jahrhunderte alle auf demselben Plane standen. Denn über die Toten, von denen er da in seinen Chroniken und Protokollen las, wußte er fast besser Bescheid als über die Lebenden, die da unter seinem Fenster vorbeigingen. Die konnte er nicht immer recht auseinanderhalten mit ihren Vorfahren. Seit Jahren schrieb er an einer Geschichte des Elsaß; jetzt gerade beschäftigte ihn die Chronik von Thurwiller. Er war Privatgelehrter gewesen in Kolmar und hatte die Stadtschreiberstelle hier angenommen, um Brotberuf und Quellenstudium vereinen zu können.
    In diesem Augenblick lag ein Dokument aus dem großen Revolutionsjahre vor ihm, ein Brief des Pfarrers Balde in Thurwiller an die damalige Regierung. Er lautete:
    »Hiermit bezeuge ich öffentlich, daß der Eyd, den die Nationalversammlung von uns Geystlichen fodert, sich nur auf Sachen, die der weltligen Macht zukommen, bezihen kan; demzufolge schwör ich der Nation, dem Vaterlande getreu zu seyn in Allem Was Nicht Der Catholischen Apostolischen Roemischen Kirche Zuwider Ist.
    Diese ausdrückliche Ausnahme fodert von Mir Mein Gewissen und die Sorge, die ich Meinen Gläubigen schuldig bin.
    Dieses soll in eines jeden Händen ein Unterpfand der aufrichtigen Lieb seyn, die ich zum Vatterland trage wie auch der unverbrüchlichen Treue seyn, mit welcher ich der

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