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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Kind, dem Martin Balde im Juli Siebzig ins Leben hineingeholfen hatte.
    Man sprach mit einer gewissen Zurückhaltung von ihr, und Yvonne vertraute dem Geheimrat an, ihre Schwägerin wäre ihnen ein wenig entfremdet, da sie eigensinnigste Chauvinistin geworden sei.
    Wie das gekommen sei, hatte Hummel gefragt.
    O, sie sei von Anfang an französischer erzogen worden als die andern Kinder, »Après l'année terrible, vous savez.« Und dann war der General gestorben, gerade als Madeleine, sein Liebling, auf den Wunsch der Mutter in eine deutsche Schule kommen sollte. Nun schickte Frau von Meckelen sie, gleichsam ein Opfer, das sie ihrem toten Manne brachte, nach Frankreich in ein Kloster. So war Madeleine vollends zur Französin geworden. Sie hatte Victor Hugo nur unter der Bedingung geheiratet, daß sie, so oft sie wollte, in Paris leben konnte. Sie kam nur selten nach Thurweiler, Victor Hugo besuchte sie und seine beiden Kinder in Paris, wenn seine Geschäfte es ihm erlaubten.
    Geschäfte! Hummel war neugierig auf diesen neuen Victor Hugo. So hatte man denn die Fahrt nach Thurweiler unternommen. Arvède, der auf einem Gute in der Nähe einen Pferdekauf zu machen hatte, wollte den Gast abends bei seinem Schwager wieder abholen.
    Sie rüttelten jetzt über Schienen herüber, sahen weißglitzernde gefüllte Wagen, die man ankettete. Auf der Lokomotive standen Männer, deren Kleider, naß, in die Luft hineindampften.
    »Die Güterbahn von Thurweiler nach Bollweiler,« erklärte Meckelen auf Hummels fragenden Blick. »Für den Kalitransport.«
    »Haben Sie hier auch Kalifunde?«
    »Hier hauptsächlich. Die ganze Gegend leidet darunter.«
    Hummel hatte auf die letzten Worte nicht geachtet, auch den grimmen Ton nicht bemerkt, in dem der Baron seine Auskunft gab. Ganz eifrig beugte er sich vor, so daß ein Stoß des Autosihn sein Gleichgewicht verlieren ließ. Das störte ihn nicht. Erfüllt von einem Gedanken, der ihn glücklich machte, nickte er ein paarmal vor sich hin. Dann, ihm Worte gebend, sagte er laut in die Wagengerausche hinein: »Ist es nicht herrlich, daß man gerade hier im Elsaß Kali findet? Im deutschen Elsaß? Deutschland plant ja das Syndikat für Kali. Da muß doch diese Tatsache: nämlich daß man nur in Deutschland Kali findet und nun auch hier, den Elsässern beweisen, wie sehr sie, schon allein geologisch, zu uns gehören? Glauben Sie nicht, daß dieser Umstand, wenn man ihn dem Volke genügend einprägen würde, für die Germanisierung von höchster Bedeutung werden kann?«
    Wundervoll blau waren seine Augen dabei. Meckelen zuckte die Achseln. » Quant à moi, ich betrachte sie als Fatalität. Sie verpesten die ganze Gegend,« fuhr er finster fort.
    Hummel zog die Luft ein. »Ich rieche nichts.«
    Da mußte Meckelen lachen. Er hatte noch sein weiches, blondes Kinderlachen. Plötzlich aber wurde er wieder ernst. Er zeigte nach vorn. Hummel blickte durch das Vorderfenster und erkannte, soweit es der wehende Havelock des Kutschers zuließ, ein hohes, schwarzes Gerüst, das mitten auf dem freien Felde stand.
    »Was ist das?« fragte er erstaunt, fast ein wenig beleidigt. Ihm war, als habe man ihm ein hübsches Andenken verdorben. Denn hier in der Nähe mußte der Feldweg gewesen sein, auf dem er damals die beiden jungen Mädchen mit dem groben Bauern beobachtet hatte. »Was ist das?«
    »Ein Bohrturm. Da weiter weg sehen Sie noch einen zweiten. Häßlich, gelt? Aber das ist nicht das Schlimmste. Das nicht.« Er sagte nichts mehr, aber in seinem seinen Edelmannsgesicht schien etwas Leidenschaftliches aufzuwachen: Verachtung, Kummer.
    Hummel blickte noch immer nach vorwärts auf die Bohrtürme, die man jetzt beide sah, wie sie sich schmutzig und breitbeinig vor die Landschaft stellten. Im weiten Umkreise eine wüste Öde, halmlos, von Salz bereift und zerfressen. Man erkannte Schuttberge, verlassene Schächte, Bohrlöcher, dawo früher Feld gewesen: unfruchtbare Erdschollen, hart, braunrot, die aussahen wie geronnenes und versteinertes Blut, ein paar Kirschbäume ohne Blätter mit dürren, anklagend weggestreckten Ästen. Ein hoher schwarzgestrichener Bretterzaun stand massig und undurchdringlich wie eine Gewitterwolke, die sich gesenkt hatte, vor einem teergeschwärzten Hümpel von Bauhütten und Schuppen.
    Arvède von Meckelen hob drohend die geballte Faust. »Ah ces brigands!«
    »Sie lieben die Industrie nicht sehr, wie es scheint.«
    Arvède machte ein abweisendes Gesicht. »Wir sind ein Bauernvolk, Herr

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