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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Verwunderung, daß der deutsche Herr mit der goldenen Brille lachte, übers ganze Gesicht. Hummel erinnerte sich des alten Weibleins, das er damals hier, vielleicht an derselben Stelle, in seinem besten Französisch angeredet hatte und das ihm erwiderte: »I verstand nur Elsasser Ditsch.«
    Tempora mutantur.
    »Der Herr sind fremd im Ort?«
    Der Geheimrat blickte sich um. Ein schmaler, jüdisch aussehenderjunger Mensch in deutscher Soldatenuniform, mit elegant aufgezwirbeltem Schnurrbart stand vor ihm.
    »Die Häuseranlage hier ist neu?« fragte Hummel. Das Gesicht des jungen Mannes kam ihm bekannt vor. Der Jüngling schlug die Hacken zusammen. »Ganz neu, mein Herr. Die Beamten vom Zuchthause wohnen da. Alles tadellos geregelt.«
    »Die Beamten? Ja, ist denn kein Militär mehr in der Stadt? Kein Wachtkommando?«
    Der Jüngling wirbelte sein Schurrbärtchen. »Der Herr meint vielleicht, weil er mich in Uniform sieht? Aber ich bin nur auf Urlaub hier. Ich diene mein Jahr in Straßburg ab. Die Familie freut sich, wenn man sie wieder einmal besucht,« setzte er herablassend hinzu.
    »Also kein Militär mehr,« wiederholte Hummel fast bestürzt. Die roten, lustig marschierenden Hosen auf der Zuchthausmauer waren ihm unzertrennlich von Thurwiller. Er gab sie ungern her. Aber es waren ja doch nicht rote mehr gewesen, jetzt, sondern dunkle. Natürlich!
    Der Freiwillige hatte inzwischen geläufig in Druckschriftsprache auseinandergesetzt, früher habe es in der Tat hier einmal Militär gegeben, aber da wäre immer Streit geworden mit den Arbeitern. Jetzt dagegen sei alles geregelt. Tadellos.
    »Und die Runden um die Mauer?«
    O das sei nicht mehr nötig. Ein Netz von elektrischen Drähten, in denen die Gefangenen hängen blieben, wenn sie den geringsten Fluchtversuch machten. Tadellos.
    Hummel suchte immer noch nach der fatalen Ähnlichkeit. Er hatte sich zum Gehen gewendet, der Bursche begleitete ihn wie sein Diener, immer ein paar Schritte zurückbleibend, seiner Ansprache gewärtig.
    »Das ist die Post,« sagte er, da keine Frage erfolgte, von selber.
    Es war ein banales, aber von blauen Glyzinien umranktes einstöckiges Häuschen. »Alles mit elektrischem Licht,« berichtete der Allzugefällige. »O, Herr Treumann, der Postvorstehermacht sein Metier gut. Er ist aus Westpreußen. Das gibt manchen Spaß, wenn er Elsässisch spricht. Zu Anfang freilich hatte er viel Ärger. Er verstand die Leute nicht und sie ihn nicht. Als er dann aber heiratete – seine Frau war Elsässerin – da gehörte er auf einmal ins Land. Er hat in eine sehr gute Familie geheiratet, o sehr reich. Die Schlotterbachs aus der Fabrik dahinten. Damals war es noch keine Aktiengesellschaft. Aber die Besitzer zogen im Jahrs Siebzig nach Frankreich – que voulez-vous ? Sie waren sehr unzufrieden, als Mademoiselle Virginie sich in den lustigen deutschen Monsieur Treumann verliebte. Aber niemand kann ihm gram sein. Er trägt favoris à la Guillaume Premier . Trotzdem ist er ein Mann, der zu lachen versteht. Er singt Euch die lustigsten Lieder. Und bei Hochzeiten und Kindstaufen tanzt er wie der Jüngste. Mademoiselle Charlotte, seine Tochter, kann es nicht besser. Da steht sie gerade am Fenster oben, sehen Sie? Une jeune fille bien faite. Und welche reiche chevelure .«
    Hummel, von dem Schwatzenden deutlich abgewendet, hörte interessierter zu, als er zeigen wollte. Virginie Schlotterbach! Wie aus einem Nebel tauchte ihr Name vor ihm auf. Er sah sich wieder im Boudoir von Madame Schlotterbach. Sie am Kamin in ihrem Spitzenkleide mit gelben Rosetten. Die Arme vorgestreckt wie eine Puppe. »Vous allez bien, papa?« Und dann hatte sie versucht, ihm ihre Tochter Virginie zur Ehe anzupreisen.
    Er lächelte. Dinge und Menschen, von denen er nicht geahnt hatte, daß in seiner Seele noch irgendein Abdruck von ihnen bewahrt lag, bekamen neue Melodie für ihn, seitdem er wieder hier war. Keine laute, störende Melodie, sondern eine, auf die man Lust hatte noch ein wenig zu hören. Ganz vorsichtig dachte er nun auch den Namen: Françoise. Seit Jahrzehnten hatte er das vermieden. Zuletzt schon gar nicht mehr zu vermeiden brauchen. Ihr Bild war ganz verwelkt. Nur daß ihm manchmal, mitten aus dem Schlaf heraus, eine heiße Scham aufstieg, von der er sich nicht klar machte, woher sie kam. Ganz selten aber geschah es, daß er wußte:er hätte sie nicht stehen lassen sollen wie eine Bettlerin, damals in Nancy vor der Steintür.
    Heute dachte er das wieder, aber ruhig,

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