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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Pauvre petite maman, ich bin sehr traurig. Aber was wollt ihr – die Geschäfte!«
    Françoise starrte ihn an. Armand, die Uhr in der Hand, riß ihn fort. »Beeile dich, du wirst deinen Zug verfehlen. Das Auto wartet draußen. O, keine Ursache zum Dank. Wir Männer helfen einander.« Er klopfte ihm väterlich den Rücken. Einen Augenblick des Durcheinanderredens, Ratschlägegebens, Hin- und Herlaufen mit Mantel, Mütze und Tasche, dann war Paul verschwunden. Die Herren gingen ins Rauchzimmer, Françoise hatte sich in den Erker gesetzt. Sie hätte beinahe aufgelacht, weil alles so ungereimt war. So viel unnützer Gram und so viel unnütze Freude!
    Hortense trat zu ihr. Ihre trockene Hand strich zart über die weiche Wange der Schwester. »Wie du an ihm hängst, Françoise. Aber es ist nicht klug, so zu lieben. Man fordert Glück für sich, wenn man liebt. Und wir sind nicht zum Glücklichsein auf der Welt, wir Frauen von heute. Wir müssen handeln.«
    In diesem Augenblick kam Pierres frisches, gutes Lachen hereingelärmt. Françoise fuhr zusammen. Dann aber lächelte sie. Ein tiefes Bewußtsein seiner Treue und Zärtlichkeit kam über sie. Sie erhob sich und trat in die Türe. Da, ohne sie zu sehen, fühlte er ihr Kommen. »Bisch müd, Maidele? Soll i dir singe: Schlof, Kindele, schlof?« Er schien zu lachen. Françoise aber sah den Blick warmen Erbarmens, den er auf sie richtete, und er rührte sie grenzenlos.
    In ihrem Zimmer angekommen, war Pierre schweigend um sie bemüht. Seine starken Hände zogen ihr geschickt und zart die Nadeln aus dem Haar. Er half ihr das Kleid ablegen und in den weichen, hellen Seidenschlafrock schlüpfen, in dem sie weiß und schlank aussah wie eine junge Frau.
    »Müetterle!« Er streichelte sie.
    Sie fiel ihm um den Hals. »Wir haben ihn verloren, Pierre, wir haben unsern Sohn verloren.«
    »Ah bah, a rachter Elsasser Büe, der kummt scho vo salwer z'ruck, et tu sais, il revientil à lui-même .«
    »Aber sie verderben ihn mir, sie machen mir ihn schlecht, diese Lucile – – «
    »Kei Idee, bime rachte Elsasser Bus schabt das nix.«
    Sie hörte kaum darauf. »Zwei einsame alte Leut' sind wir nunmehr.«
    »Meinsch?« Er stellte sich drollig unternehmend vor sie hin. »Man ist noch kein Greis, Madame.«
    Sie mußte lachen. Zärtlich zupfte sie ihn an seinem dichten, jetzt leicht ergrauenden Bart. »Sie haben recht, Monsieur. Und die paar weißen Fäden da, cela vouz va à merveille .«
    »Und du, Françoise?« Er faßte sie bei den Schultern und hielt sie wie ein Kunstwerk, das man betrachtet, steif von sich ab. Dann plötzlich sie an sich heranziehend, nahm er sie heiß in die Arme.
    »Nein, wir sind jung, jung,« sagte er laut und zuversichtlich. »Und wir lieben uns zwei. Grad so wie am Anfang.«
    »O viel, viel besser,« flüsterte sie, weich und hingegeben an seiner Brust.

Vierter Teil
    Das diesjährige Osterfest hatte dem Städtchen Thurwiller, das jetzt bereits seit drei Jahrzehnten Thurweiler hieß, nach einem warmen, knospentreibenden Februar wieder Schnee gebracht; einen lockeren, nassen Märzschnee, der tags in der Sonne zerging und einen warmen Duft von Fruchtbarkeit in die Luft schickte. Im Wäldchen blieben Grundlöcher und Bodenfalten noch weiß gefüllt, die Landstraßen aber waren bereits dunkelbreiig, von kleinen Flüssen durchzogen. Und das helle Automobil, das da eben durch das blinde, triefende Grau des kalten Vorfrühlings stieß, war bis hoch hinauf mit Schmutz bespritzt. Dennoch blieben die Leute stehen, grüßten und blickten ihm wohlgefällig nach. Man liebte in der Umgegend Baron Arvède von Meckelen, den Sulzer Schloßbesitzer, der seinen Grund und Umkreis klug in Ordnung hielt, vernünftig wirtschaftete und beriet und nach oben wie unten seinen Platz behauptete. Die Frauen lüfteten ein wenig ihre schützend über den Kopf geschlagenen Röcke, um zu lugen, ob etwa Madame Yvonne hinter den Scheiben zu entdecken wäre, mit ihren noch lichtbraunen Löckchen unter dem schwarzseidenen Kinderkäppchen, deren nußfarbene Augen so herzig dreinschauten, während sie ihr elegantes Französisch, das man nicht verstand, an einen heranschwätzte. Auch nach den vier goldhaarigen Kinderchen hielt man Ausschau. Gewöhnlich saß eins vorn beim Kutscher, und die andern drei purzelten dadrinnen umeinander, wie junge Vögel im Nest. Heute aber sah man rechts neben dem Baron, der in Schildmütze und kariertem Fahrmantel in seiner gewohnten Ecke saß, einen breitschultrigen,

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