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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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anderes Wort als Geld und wieder Geld. Das war noch die Gründerzeit, wissen Sie. Jetzt, scheint mir, ist sie ins Elsaß geraten.«
    »Ja, wir bekommen den reinen Amerikanismus her. Alles was Geschmack und Tradition ist, wird überflutet davon. Nur neu soll alles sein. Billig und rasch. C'est le cas. «
    »Ganz recht, die Leute kennen keine Werte mehr, nur noch Zahlen.«
    »Keine Werte mehr,« wiederholte Meckelen feinschmeckerisch, » voilà ce que vous avez bien dit, monsieur. Als Knabe fühlte ich mich unglücklich und zerrissen,« sagte er dann leise, den Kopf gesenkt, »der Tod meines armen Bruders hat mich in eine Tätigkeit hineingesetzt. Ich habs zu schaffen und spüre, daß ich Kraft habe. Da sollen mir nun nicht Maschinen kommen und Bureaus und mich ersetzen wollen, cela jamais !« Er klopfte heftig mit dem Fuße auf im Wagen.
    »Der menschliche Geist ist auch schaffend,« sagte der Professor.
    Arvède achtete des Einwurfs nicht. Er fuhr leidenschaftlich fort, kurze Sätze herauszustoßen: »Ich bin zufrieden gewordenauf eigenem Grund und Boden. Die Heimaterde hat Heilkraft. Freizügigkeit ist plebejisch.«
    »Wo der Materialismus beginnt, da tritt der Sport an Stelle der geistigen Arbeit.«
    Die beiden Männer sahen sich wohlgefällig an, während sie noch eine Weile so aneinander vorbeiredeten, ähnliche Worte gebrauchend und ganz Verschiedenes darunter verstehend. Sie glaubten sich einig.
    Zuletzt schwiegen sie. Jeder hing seinen Gedanken nach. Hummel blickte auf den kleinen Drei-Wagen-Zug, der eben an ihnen vorbeifuhr. Ihm kam auf einmal der Milchwagen in den Sinn, auf dem er in verstohlener Morgenfrühe zwischen klappernden Blechkannen gesessen hatte. Den Gesang der Fabrikmädchen hörte er wieder, sah den Zug der französischen Soldaten, die aus der Garnison ausrückten. Wie lange, lange war das her. Er hatte nie mehr daran gedacht. Jetzt sah er prüfend auf die Pappeln, um deren enggefaßte Glieder eine eben durchbrechende fahle Sonne flimmernde Linien zog, so daß sie sich vom feuchtbraunen Tale abhoben wie bleigefaßte, blasse Stücke eines Glasgemäldes. Er erinnerte sich, wie dicht belaubt und goldumzogen er sie damals vor sich gesehen hatte. Und nun tauchte auch der braune Kirchturm vor ihm auf, einen Augenblick später sah er das Städtchen selber, das, weit über die grüne Schüssel seiner Wallwiesen herübergeflossen, sich in wohlgeordneten Straßen heranzog. Alle Häuser gleich hoch mit Ziegeldächern und gleichen geraden Schornsteinen. Seitwärts endeten die glitzernden Schienenstränge an einem kleinen Bahnhof, mit Telegraphen- und Telephondrähten auf seinem Dach.
    Der Geheimrat schob seine Decke beiseite. »Ich möchte hier aussteigen und zu Fuß gehen. Ihr Weg zweigt, wie ich glaube, hier ab, und« – er zog die Uhr – »es ist auch gerade die gewohnte Stunde meines Nachmittagsspazierganges.«
    »Sie werden sich ermüden.«
    Aber Hummel drückte einfach den pneumatischen Ball, so daß der Chauffeur hielt. Unerwartet rasch war er draußen,nahm mit energischer Bewegung seinen Schirm unter dem Verdeck hervor und reichte seinem Wirt die Hand. »Auf Wiedersehen also.«
    »Da Sie es wollen, Herr Geheimrat, auf Wiedersehen dann in der Villa Schlotterbach. Der neuen,« fügte er hinzu und machte beschreibende Bewegungen mit den Armen. Aber das Geräusch des Autos, das sich wieder in Bewegung setzte, verschlang seine Worte.
     
    Mit kräftigen Schritten wanderte Heinrich Hummel nun zum Städtchen hinunter und kam bald zu den neuen Häusergevierten, die mit ihrem abgeteilten Gartenstückchen Arbeiter- oder Beamtenwohnungen zu sein schienen. Die Straßen, die sich diesen Bauanlagen anschlossen, waren nur erst abgesteckt, trotzdem trugen sie an Holzschildern bereits ihre Namen: »Hohenzollernstraße«, »Wilhelmstraße«, Friedrich-Wilhelm Straße«, »Kaiserweg«. Mitten im Kahlen stand eine Bretterbude mit rotem Vorhang, der sich im Winde blähte. »Kinematograph« stand mit großen, aus elektrischen Lämpchen gebildeten Buchstaben über dem Holzdach.
    Hummel schüttelte den Kopf. Nichts erinnerte mehr an Thurweiler. Man konnte glauben, in einem Großstadtvorort zu sein.
    »Ist es noch weit zur Villa von Herrn Schlotterbach?« fragte er einen mürrisch aussehenden Mann, der ihm entgegenkam, die Pfeife im Munde, in Bluse und Schirmmütze, in einem dicken, fettigen Notizbuche blätterte und Zahlen murmelte. Der Angeredete sah ihn feindlich an. »Moi entendre seulement Français.« Er sah mit

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